Am Ufer

Ein Mann, der an einem vernieselten Werktagsnachmittag im November um halb fünf beim Feuer sitzt und die Hacken der Stiefel in den Ufersand stemmt. Er trinkt schwarzen Kaffee aus einem Metallbecher und blickt ruhig auf den träge fließenden Fluss. Der Nebel verwischt die Wahrnehmung, das letzte Licht, die Geräusche vom anderen Ufer, wie das Hupen der Autos. Ein Krankenwagen malt eine kaltblau rhythmisierte Linie ins Ungewisse. Das Fahrzeug rast. Grellheit, Lärm und moderne Geschäftigkeit haben sich eines Kranken bemächtigt, der in den meisten Fällen Ruhe, geeignete Aromen und das gedämpfte Licht von Wachskerzen bräuchte. Der Mann sitzt offenen Auges in einer Wolke aus Rauch und böigem Niesel, aus der sich jedoch Vieles denkbar deutlich darstellt, wenngleich optisch unscharf und lichtarm. Am Ufer liegen Dinge, derer sich der Fluss am Ufer der kleinen Bucht im Walde entledigte: Plastikflaschen und Büchsen, aber auch Vegetatives, wie Äste, Zapfen und undefinierbarer organischer Schleim. Die Lastkähne fahren heute vorwiegend stromaufwärts, der Stadt entgegen. Mit Kohlen beladen, oder Schrott, denkt der Mann, der am Feuer sitzt, an den stählernen Rümpfen sind sie jedoch mit körperlosen Seelen behaftet.
Nach dem Tode des Körpers sind die Seelen in ihrer Kraftlosigkeit leichte Beute für Zauberer und Dämonen. Sie sind dazu beschaffen, sich an größere und energiereichere Objekte zu binden, als seien sie freie Radikale. Das kann ein Wassertropfen sein, oder ein reißender Strom. Da die Seelen hydrophil sind, streben sie schließlich mit dem Wasser dem Meere zu, um sich dort in lockeren Verbänden zu akkumulieren. Nun wird aber auf dem Meer Schifffahrt betrieben und Seezeichen weisen den Weg. Auch ist der Boden des Meeres gespickt mit den Wracks gesunkener Schiffe. Große Strukturen, die ganz aus Stahl gefertigt sind, und die auf energieschwache Partikel wie die Seelen nicht nur durch Gravitation sondern, und dies vor allem, durch elektromagnetische Felder anziehend wirken. Dergestalt gebunden, gleichsam gefesselt ist eine Reinkarnation durch Verdunstung, wie man sich leicht ausmalen kann, naturgemäß unmöglich. Der freie Fluss der Energie ist unterbrochen!
Als Auslöser für diese schädliche Entwicklung, das Meer nicht mehr mit hölzernen Schiffen, mit dem Winde zu bereisen, wie es gottgefällig wäre, sondern mit stählernen Giganten, mit Ottomotoren, die mit Schweröl betankt werden, kann ursächlich, wie so oft wahrscheinlich wieder einmal die Bartholomäusnacht benannt werden.
Der Mann am Feuer ist aufgestanden und klopft sich den feuchten Sand vom Po. Es hilft nichts, sagt der Mann, der am Feuer saß, wir müssen noch heute handeln und streckt seinen Zeigefinger aus, der aber die Oberbekleidung des Anderen nicht zu berühren scheint. Schiffe und Seezeichen, auch Schleusenanlagen und Spundwände müssen umgerüstet werden auf Polymerkunststoffe, die den flottierenden toten Seelen keine Fallen sind. Da der Wind aufgefrischt hat, nun böig bläst, zieht der der Mann, der am Feuer saß seinen wollenen Poncho enger, der am Halse mittels einer Spange aus Kupfer gehalten wird. Polymerkunststoffe also, das muss im EU-Recht verankert werden. Schreiben Sie das ihrem EU-Abgeordneten per Briefpost, viele Menschen müssen solche Eingaben per Briefpost einreichen. Der Mann, der am Feuer saß, ist an den Anderen einen oder zwei Schritte herangetreten, bestrebt im Zwielicht einen Blickkontakt herzustellen. Von der umlaufenden Krempe seines dunklen Filzhutes rinnt Novemberniederschlag.



10. Dezember 2017