Den Kapitalismus angreifen

Ms Mutter tanzt am Rand der Gleise oben am sonnenbeschienenen Bahndamm, getrieben von Hippiemusik aus dem Walkman. Sie wirft berauscht ihre Arme in die Höhe und wenn ein mit Atommüll beladener Güterzug kilometerlang vorbeirattert, flattern ihre Haare im Wind und sie wirft dem Lokführer Kußhände zu. Wir müssen schon um vier Uhr dreissig los — also krass früh — mit quietschenden Fahrrädern im Schutze der Dunkelheit und dennoch bange ob der Bullen. Angestrebtes Ziel ist ein Protestcamp inmitten von Raps und Maisfeldern. Nicht sortenrein zusammengemanschter und mangelhaft restentleerter Verpackungsmüll, der zu Technobeats in die matschig rotbraune Scholle getreten wurde. Ich bin nur hier weil ich weich bin, den Erwartungen der Clique gerecht zu werden trachte, insgeheim mag ich den Kapitalismus, endlos aus dem Hahn fließendes Heißwasser, ein akurat gefaltetes, idealerweise mit meinen Initialen oder dem Familienwappen schön besticktes, frisch und hart dem reinlichen Wäscheschranke entnommenes Handtuch; kurzlebige Waren im Überfluss, die neuesten Turnschuhe zum Beispiel, geliefert von jüngst aus dem Boden gestampften Produktionsstätten in den Urwäldern entfernter Erdteile (an der uns gegenüberliegenden Seite der Kugel). Ich wünschte, ich könnte meinem unbestimmten Weltschmerz vermittels einer Playstation greifbaren Ausdruck verleihen.
Großer Ärger indes um Ike Turner und David Bowie: die beiden abgehalfterten Popstars plauderten unter dem Einfluss von Kokain, in einer von Thomas Gottschalk moderierten Fernsehsendung, das Lösungswort des vom Berliner Kurier ausgerichteten großen Globalisierungs-Gewinnspiels aus.
An der Ferse meines rechten Fußes klafft eine viereckige Wunde begrenzt von vier Einstichstellen, der Biss einer Viper, die an einer mutagenen Gebissfehlstellung leidet offenbar.



12. August 2007