Herr No äußert sich zur europäischen Frage

Wie es scheint, wird Welschland zu unserem Tschetschenien – die Indizien eines verlöschenden Großreiches verdichten sich. Die Peripherie rebelliert und dem europäischen Kernreich gebricht es an Schlagkraft und sinnvoller innerer Struktur wie einst dem imperium romanum. Der unweigerliche Niedergang nimmt seinen Lauf und das folgende Machtvakuum wird mit flächendeckender Balkanisierung gefüllt. Wir machen unser eigenes Europa mit Blackjack und Nutten. So einfach ist das.

Und ich betrachte ein virtuelles Selbstbildnis als Emporkömmling des Untergangs; Produkt der Zerschlagung von Infrastruktur und staatlichen Institutionen; Typus Freischärler und Geschäftsmann, der in Heroin, Arabicabohnen, Eau de Cologne oder weißrussische Jungfrauen macht – der Marktlage entsprechend. Mit der Absteckung neuer Geschäftsfelder und dem Erwachen hegemonialer Gelüste ließe ich mir einen stattlichen Schnurrbart stehen, dessen Enden ich mit Schweineschmalz emporzwirbelte und ich trüge eine Mütze aus zottigem Ziegenfell, einen mit slawischen Volkskunstarabesken bestickten Lederholster für verschiedene großkalibrige Handfeuerwaffen und goldene Schneidezähne mit eingelassenen Brillanten funkelten in meinem Munde. Ein Mann, der mich berauben will, muss mich töten und eine Zange mitbringen, scherzte ich nicht selten und mein linkes Glasauge blickte dabei ungerührt, von feiner Craquelee durchwoben, gen Nordwesten.

Auf Saumpfaden, über in Vergessenheit geratene Pässe, triebe ich schwer bepackte Maultierherden bis zu modrigen, frühnebelverhangenen Hütten, an denen dunkelgrüne Geländewagen warteten und am Fuße jenseitiger Felsstürze heulten wehmütig weiße Wölfe: Die Waldkarpaten.

Männer in speckigen Uniformhosen und räudigen Bärenpelzen begleiteten mich gegen fürstlichen Sold und über ihren dunkelbehaarten Schultern hingen nachlässig moderne und leichte Schnellfeuergewehre. Und nachts stünde ich beim Feuer mit meiner Geige und spiee in die Glut und träumte von einem eigenen Staat oder einer eigenen Autobahnmautstelle mit Bordell zunächst, bis um mich herum polyphones Branntweinschnarchen erklänge und die Mondsichel mit den Stunden zaghafter würde wie ein dreiviertelgelutschter Halsbonbon.



6. Mai 2010