Kyrill

Ein Kleinwagen in gedeckter Lackierung, der in einem abgelegenen Hohlweg geparkt ist. Aus dem Dunkel des Wageninneren beobachtet ein Mann in den besten Jahren einen trostlos menschenleeren Hauseingang. Zu seiner Unterhaltung erschallt Hardrock in gedämpfter Lautstärke. Vermutlich ein stümperhaft getarnter, ziemlich unglamouröser Privatdetektiv bei der Arbeit. Ein Profi würde sein ermittlerisches Wirken in dieser Situation selbstverständlich mit Kiffen oder Geschlechtsverkehr kaschieren.
Als ich gestern Nacht einmal beschloß mir selbst ein Bild des durch Deutschland tobenden Orkans Kyrill zu machen, von dem der Rundfunk zu berichten nicht müde wurde, zu diesem Behuf das Küchenfenster öffnete und mir der Wind recht erquicklich um die Nase wehte, war ich angenehm überrascht von der vorzüglichen, luftkurortartigen Frische des Orkantiefs, die hier sehr treffend mit dem Genuß eines wirksamen Halsbonbons verglichen wird. Mit beachtlicher Amplitude neigte sich die hochaufgeschoßene Tanne in Nachbars Garten mir entgegen. Weitere potentielle Gefahren, waren selbst bei eindringender, sensationsgeiler Betrachtung nicht auszumachen.

Es handelt sich schließlich um einen alteingesessenen Nadelbaum und nicht um den Berliner Hauptbahnhof. Einmal beobachtete ich, wie während eines Frühlingssturmes eine Amsel in der ächzend schwankenden Krone des besagten Baumes ein Nest baute. Einige Zeit taumelte sie in ihrem sturmgebeutelten Nest umher wie der Maat im Ausguck eines Schoners vor Kap Horn und entschied sich schließlich — der sich einstellenden Plümeranz Gehör schenkend — für einen weniger exponierten Ort zum Bebrüten ihres Geleges.
Ferner fiel beim abendlichen Blick aus dem Fenster auf, daß in der geheimnisvollen Beletage des Hauses gegenüber ein Licht brannte. Die Anlässe, zu denen mir die Wohnung belebt deuchte, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Zuletzt stand während der Hundstage des Jahrhundertsommers im letzten Jahr eine pralle Plastiktüte im sperrangelweit geöffneten Fenster. Ein anderes Mal ordneten faltige Hände im Schein einer schummrigen Schreibtischlampe randgelbe Konvolute, die wohl einem in der Ecke stehenden Tresor entnommen zu sein schienen.



19. Januar 2007