Jetřichovice

Die hölzerne alte Mühle liegt an einem kleinen Wasserfall. Objektiv müsste man das fortwährende Rauschen als Belästigung empfinden, das Gehirn verklärt allerdings den Lärm romantisch und der Mensch fühlt sich wohl. Zudem ist das Gebäude von im Regen leise vor sich hin schimmelnden pittoresken Felsformationen und Nadelwald umstanden. Letzteres ist erstaunlich, wird doch ausschließlich mit salziger Braunkohle geheizt, deren Verbrennungsgas bekanntlich in feuchter Atmosphäre umgehend schweflige Säure und Schlimmeres bildet. Durch widrigen Luftdruck begünstigt kriecht der Geruch alter Öfen nächtens in meine Lunge und lässt mich mit Atemnot erwachen. Keine Kohlenmonoxiderstickungsmeise, sondern der salzige Geruch von Schwefel, gerade so als schritte der Bocksbeinige höchstpersönlich durchs Schlafgemach, einem aufgeklärten Menschen genügt es aber bei offenem Fenster zu schlafen, es riecht schließlich nur nach Ostblock. Immer nur Nebel und Regen, Matsch, wenig Räumlichkeit und trübe Farben. Ferner das verschnarchteste Silvester seit Jahren, Spaßmacher im Fernsehen und Angela Merkel, später zwei oder drei schüchterne Feuerwerkskörper, die in einigen Kilometern Entfernung abgebrannt werden. Al Jazeera zeigt zur Entspannung schinkenhafte Spielfilme, in denen Beduinen erzürnt brüllend durch die Wüste reiten und mit ihren Säbeln rumfuchteln. Im ägyptischen Fernsehen singt ein junger Mann, der mit seiner entzückenden Gespielin an mondbeschienenem Gestade zusammentraf, ein langes und trauriges Lied, er schüttelt dabei fortwährend den Kopf und schiebt leidvoll die Augenbrauen zusammen.

Am Neujahrstag ist es so mild, daß man alle Jacken und Pullover ausziehen und in den Rucksack knüllen möchte. Zwischen zwei Nieselperioden scheint sogar die Sonne. Kurze Rast auf einer warmen kleinen Felsspitze. Ein Zitronenfalter gaukelt durch die Luft und lässt sich flügelschlagend nahe meines Stiefels nieder — am ersten Januar. Leitern, enge Felspalten sowie eiserne Haken in Sandsteinfelsen gekrönt von lieblichen kleinen Pavillons aus schwarzem Holz. An anderer Stelle Basaltsteinkegel mit vermoosten Bunkern in altem Buchenwald. Die Speisen werden in der Gaststätte der Pension vornehmlich in Friteusenfett gesotten ferner wird Tiefgekühltes mit der Mikrowelle erhitzt. Das Mienenspiel meiner Bekannten wird bei Tisch mitunter von Verdruss überschattet, ist sie doch sehr auf ihre schlanke Linie bedacht. Vortrefflich ist das Faßbier, da es stets fließt. Verantwortlich dafür ist unter anderem jener Herr, der Nachmittags mit einem bibbernden Zwergpudel in das Lokal einkehrt und dort ohne Unterlass fünfzehn Biergläser austrinkt. Der Wirt gemahnt in seiner engerlingsgleichen Fahlheit und stoischen Freundlichkeit an den Inhaber einer Computerfirma in der ich einst ein Praktikum absolvierte. Er zapft das Bier schön schnell und liest ansonsten den ganzen Tag Sachbücher (Hardcover). Über Caligula, den Spiralnebel oder Bakterien um nur einige zu nennen.



9. Januar 2007