Die Ost-Westachse
Auf Nachfrage eines bekannten Weblogautors, dem ich zufällig auf einem Basketball-Spielfeld begegne, berichte ich von meinem epischen Roman, den zu schreiben ich bei unserem letzten Zusammentreffen andeutete. Mein Gegenüber trägt einen grünen Pullunder und eine Brille mit schmalem Horngestell. Es handelt sich um die Geschichte einer Architektenfamilie, deren schleppenden Zerfall und schließlichen Untergang der Roman in kühlem Realismus beschreibt. Ein großangelegtes Werk, an dem ich schon seit Jahren arbeite, es immer wieder verwerfe und von neuem beginne, steht nun vor der Vollendung. Die Klimax des Romans beinhaltet zugleich die unausweichliche, bereits ahnbare Katastrophe sage ich sybillinisch und zwinkere spaßenshalber mit dem linken Auge. Des Architekten Plan sieht vor, eine ganze Stadt radikal neu zu gestalten, großzügiger, luftiger und brutalistischem Futurismus verpflichet. Es gilt breite Verkehrs- und Sichtachsen durch eine fiktive gründerzeitliche Stadt zu schlagen. Den Direktiven des Architekten folgend, bedient man sich dabei gigantischer Abrissmaschinen. Schweres Gerät wie es ähnlich auch im Tagebau verwendet wird. Halbautomatisch fressen sich mit Schaufelrädern bewehrte Panzerfahrzeuge durch die unmoderne Bausubstanz. Beim Anblick der von Schwarzschimmel zerfressenen Arabesken an den morschen Fassaden versteift sich die Unterlippe des Architekten.
Ein Heer von Arbeitern ist alleine damit beschäftigt, die riesige Baustelle vermittels Schläuchen zu bewässern um dem allgegenwärtig entstehenden Staub Herr zu werden. Der Architekt stapft in Gummistiefeln durch den Matsch der den Maschinen folgenden Wüstenei, um sich ein Bild vom Fortkommen der Umgestaltung zu machen. Üblicherweise verfolgt der Architekt das Geschehen lediglich aus seinem Helikopter, da ihn das Detail wenig interessiert. Der Weblogautor hat seine campartige Brille abgesetzt und beginnt diese nachlässig zu putzen. Nahe einer aufgelassenen Eisenbahnstrecke, hat sich die Bewohnerin eines der zum Abriss vorgesehenen Häuser, aus Protest an den Gleiskörper gekettet. Sie blickt den Architekten mit einer Mischung aus Hass und Verzweiflung an. Mehr wird nicht verraten sage ich. Jedenfalls eine Geschichte von buddenbrookschem Ausmaß mit merklichen Reminiszenzen an Nikolai Ostrowski. Ich könnte mir eine Verfilmung durch Paul Verhoeven vorstellen sage ich, während sich der Weblogautor hastig verabschiedet. Man hat von mir unbemerkt in meinem Rücken ein Buffet eröffnet. Auf mittlerweile aufgestellten alten Fernsehern werden ulkige Internet-Videos gezeigt. Ganz klar, hier wird die neue Weblogshow für Pro7 aufgezeichnet, die Moderatoren Elton und Sonya Kraus sind noch in der Maske. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man, Paris Hilton, Weblogmogul Johnny Haeusler und Don Alphonso hätten ihr Erscheinen avisiert.
1. Februar 2007