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Der Qualm, der knotig aus den Schloten quillt, färbt sich bei geeignter Witterung gegen Abend violett. Hier wird Strom erzeugt. Auch ihr Wasserkocher, ihr Computer schnabuliert die aus der Wand strömenden agilen Ladungsträger, wenn diese nicht aus Frankreich kommen oder sonstwoher.

An den Wänden der Lauben, die das Südufer der Spree säumen, sind oft organische Motive aus Schmiedeeisen befestigt — ein Schmetterling, ein äsendes Reh für ein Beispiel. Oder eine dekorative Kachel ist in die Fassade eingelassen der Gefälligkeit halber. Die kleinen Häuschen haben sich recht pedantisch gegen das Verbrechen gewappnet oder gegen Vandalen. Manche liegen in Holunderbüschen hingebaut direkt unter der Autobahnbrücke, hier sitzt auch ein Reiher, die ständigen Schauer sind wohl nicht sein cup of tea. Hinter Grünmasse verborgen verkehren die Intercityzüge der Eisenbahn, der Gartenbesitzer trachtet danach, diesen Teil des Nahverkehrs mit Schilf o.ä. zu kaschieren, sieht nicht aus und man wird auch wuschig, wenn da diese Biester mit Karacho vorbeizischen.

Es ist gut, daß die Gehsteige dieses Stadtbezirkes in weitaus geringerem Umfang als anderswo mit Unrat und Exkrementen verschandelt sind.

Die Scheiben eines Geschäftes sind mit DC-Fixfolie (Design Marmor) vollkommen zugeklebt und eine auf altertümlich gemachte Laterne in der ein rotes Leuchtmittel glüht, bezeichnet den Eingang und die gastronomische Ausrichtung des Etablissements. Neben der Türe ist ein Klingelknopf angebracht, das Männer schellen können. Jetzt läutet allerdings eine blonde Frau von milchigem Teint, deren weißes Kleid recht kurz geschnitten ist und aus glitzrigem Tuche gearbeitet wurde, ihr aus orthopädischer Sicht zweifelhaftes Schuhwerk verfügt über transparente Absätze — Kunststoff. (Gut: die Botten können einst sortenrein entsorgt werden und somit wieder problemlos der Wertschöpfungskette zugeführt werden) Wieso gab man ihr keinen Schlüssel, wo sie doch vielleicht in der Gaststätte arbeitet?

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Ein Mann mit grauem Haupthaar, an dessen Rücken ein Rucksack befestigt ist, der vermittels Maschinenstickerei mit dem Wort Studiosus versehen ist, bringt ein erlesenes Mineralwasser aus scheinbar fernem Land im Großgebinde heim. Mit dem Autobus. Vielleicht verbindet sich mit dem eigentümlich mineralischen Geschmack des Getränkes die Erinnerung an eine Region, in der sich auf erholsamste Weise verfallene Bausubstanz in Augenschein nehmen ließ. Er schenkt später einem Berber zwanzig Eurocent.

In der Halle des zentralen Omnibusbahnhofes stehen Reisende in Gruppen beisammen und Einzelne halten sich an aufputschenden Heißgetränken schadlos, die ein Automat ausspie. Gelbe Sitze und scheckiger Boden, irgendwie beige. Am Straßenrand steht einer und hebt seinen gedunsenen Arm, in dessen Gelenk eine goldfarbene Uhr eingewachsen ist, zu einer trägen Geste um hiermit Netaxe zum Einlenken in die Parkbucht zu veranlassen. Seine Frau hält sich im Hintergrund und hat ein Auge auf das Gepäck, der Gurt ihrer Handtasche ist um den Oberkörper gewunden und ihre Linke schließt sich um dieses Reißverschlussdings so daß das Blut aus ihrer Hand weicht. Im Fond des zahnsteingelben Wagens wird der Mann Namen wie Britzer Damm oder Kurt-Schumacher-Platz erwähnen.

Durch die gläsernen Gänge einer nächtlich blau erleuchteten Klinik schleppen sich Sieche an Gehhilfen zum Fernsehen, Abendessen, ins Bett oder umgekehrt. Mancher kann ja auch nicht schlafen wegen Vollmond zum Beispiel und steckt sich eine an auf der Raucherinsel.



29. Juni 2007