Unter Papageienlaternen

Ich gebiete meinem am Boden liegenden Hund ruhig liegenzubleiben, als sich ein weiterer Hund schnuppernd nähert; weise ihn an, weder zu knurren noch zu beissen. In Angesicht meines warnend erhobenen Zeigefingers lässt er die Annäherung gewähren und beginnt zunächst zögerlich, später hingebungsvoll das noch weiche Fell des Hundes zu lecken.

Eine dunkle Straße bei Nacht, die von hochaufragenden und fensterlosen Gewerbegebäuden gesäumt wird. Plötzlich fliegt eine Tür auf und ein Mann wird in die Gosse gestoßen. Im sich schließenden Türspalt blitzt für einen Augenblick Halbweltmilieu auf; rotbedruckte Laternen und Männer von stämmiger Statur, die über Glücksspieltische gebeugt sitzen. Dann werde ich durch neonbeleuchtete Räume geführt wie bei einer Betriebsbesichtigung; eine ehemalige Werkshalle, die mit weißen Blähbetonsteinen in kleinere und verwinkelte Räume aufgeteilt wurde. Ein Armenasyl ist zu sehen; bei fahlem elektrischen Nachtlicht heben und senken sich die Brustkörbe von Schläfern unter den rauhen Decken mehrstöckiger Betten. Oder eine Werkstatt, in der ein Mann sein Handwerk, die Verarbeitung von menschlichen Leichen, gelassen und konzentriert ausführt, als arbeite er mit Uhren oder Radioapparaten. (In Adern, durch die einst Blut floss, steht nun das Formalin.) Die Leichenteile würden in flüssigem Stickstoff gekühlt, und ließen sich dann recht einfach in filethaft feine Scheiben sägen, sagt er, und nimmt seine dunkle Brille ab und das linke Auge fehlt, ein Loch nunmehr, eine verknitterte Narbe wie altes Pergament.



21. Mai 2008