Aug in Aug mit einem Gulag

Als heute, zur Mittagsstunde, durch das sperrangelweit offen stehende Küchenfenster ein mildes Lüftchen wie im Lenze hereinspülte, dünkte mir das Durchbrechen der Frühblüher so nah. Oh du mein geliebter Krokuss, der du, flankiert von jubilierenden Singvögeln, noch scheu, dein zartgrünes Köpfchen den dich umschmeichelnden Sonnenstrahlen entgegenreckst. Doch der erste liebliche Anschein trügt: Im Mittelgrund, unter meinem Fenster, erstreckt sich eine, von Suchscheinwerfermasten eingerahmte Kleingartensparte. Rostiger Stacheldraht soweit das Auge blickt. Zornig bellende Hunde, denen der Speichel von blutroten Lefzen rinnt. Schlimmer noch die Pächter — vierschrötige Einfaltspinsel deren halslose Komissköppe von speckigen Cordhüten gekrönt werden. Ein Kommen und Gehen von geräumigen Automobilen mit dunkelgetönten Scheiben, alles verrammelt, doppelt und dreifach zugewuchert. Würde mich – heute, bei rechtem Licht besehen — nicht wundern, wenn das eins dieser berüchtigten CIA-Gefängnisse wäre, von denen unlängst in den Medien so angeregt berichtet wurde. Heutzutage ist ja alles möglich. Daß einem der Nachmittagstee mit einem gerüttelt Maß an Polonium 210 serviert wird beispielsweise.



5. Dezember 2006