Putzerfische
Zwischen dem hellen, jungen Grün der Sträucher und Bäume eine flache Backsteinmauer. Vergessenes, vom Rost überkrustetes Metall bildet auf dem verwitterten Zementabschluß der Mauer einen braunen Hof, der gerade schleppenden Schrittes von zwei Feuerkäfern durchquert wird. Eine von der Ausfallstraße abzweigende Fußgängertreppe führt hinab zu feuchten Auenwiesen an der Havel. Im dunklen Flußwasser watet schnäbelnd ein Reiher. Ihm sind die mit Grillgut und Fanta nach Havelland donnernden Kraftfahrer oben auf der Brücke scheinbar auch einerlei. Der Tisch in der Pizzeria ist durch ein von Goldfischen und Welsen bevölkertes Aquarium separiert vom restlichen Gastraum. (Man serviert hier Kindl-Pils, das ungenießbar — ja regelrecht zum Kotzen schmeckt.) Die Goldfische schwimmen träge umher, tragen durch ihr gefällig schillerndes Schuppenkleid durchaus maßgeblich zur Attraktivität des Aquariums bei, kacken jedoch häufig ins Wasser und vertreiben boshaft schnappend die unscheinbaren, vergleichsweise kleinen Welse, welche recht eifrig, mit geschickten Mäulern die Scheiben von unschönem Algenbefall zu befreien trachten. Am Nachbartisch, durch das von der Luftpumpe brodelnde Aquarium leicht räumlich verzerrt und in grüngelbes Licht getaucht, nimmt ein Paar Platz. Mit Rüschen gesäumtes Sommerkleid nebst flachen Pumps sowie hellgelber Pullunder und mangelhaft harmonierendes pastellfarbenes Polohemd von Lacoste in bleu oder wie das heißt, cremefarbene Bundfaltenhose und frisch geputze Bootsschuhe. Das sind so Typen, die Ariane heißen oder Sven und früher mit Zahlenschloßkoffern in der Schule erschienen. Kladow, Heaven 17, Junge Union und Abi 88. Eine Nische klassischen Poppertums.
Ich weiß was hier war, bevor MacDonalds, Plus, Schlecker und Kentucky Fried Chicken amerikanisch anmutende Autobahnperipherie installierten. Auch was davor und vage was noch weiter davor hier stand. Vor 30 Jahren zum Beispiel. Romantische Namen, deren sich einstellende Bilder gegensätzlicher zu der momentanen Situation nicht sein könnten. Menschen, die im kunstlichtilluminierten Innersten von Betonkatakomben Auskunft über Cerankochfelder geben oder Weißbrot an Laserdioden vorbeiziehen.
Einmal stieg ein Mann in die S-Bahn ein, dessen prankenhafte Linke sich um einen — von ihm unbemerkt — brennenden Stoffbeutel schloß. Er wendete sich entschloßen der stets verriegelten Tür zur Fahrerkabine zu um dort grob zu rütteln, während sich der Schwelbrand weiter mäandernd durch das Baumwollgewebe fraß, bereits weite Teile des Waggons mit brenzligem Geruche erfüllte. Der Südländer nahm schließlich grimmig grimassierend Platz, während aus seiner Tasche — dem Werbegeschenk eines bedeutenden, international aufgestellten Pharmakonzerns — durch einen Tremor der haltenden Hand in Turbulenz versetzte, zarte Rauchfäden aufstiegen.
Eine zur Überbrückung der Wartezeit auf dem Bahnsteig angesteckte Zigarette entflammte wohl durch ungünstige Handhaltung den maschinell gewirkten Beutel — so mutmaßte ich.
29. April 2007