Wanzensekret
Vorhin, als ich im grauen Nieselregen, auf dem Weg in den Supermarkt, eine triste Grünanlage durchquerte, fiel eine Wanze wohl von einem der kahlen Äste herab und fand, von mir unbemerkt, Halt an meinem linken Hosenbein. Als ich später den Fremdkörper an meinem Bein halb bemerkte und ihn in Gedanken reflexartig mit der Hand abstreifte, purzelte das Tier zunächst auf den Boden, rappelte sich jedoch geschwind auf und taumelte, die Flügelchen entfaltend, in ein finsteres Gebüsch. An meinen Fingern haftete nun ein ein recht penetranter Gestank, der auch nach gründlichem Händewaschen nur einen Deut nachließ. Allerdings gewinnt der Geruch mit der Verdünnung merklich. Wäre ich Duftdesigner, so inspirierte mich das, meinen gen Nase geführten Fingern entströmende, wilde, herbmännliche, etwas moribunde und zugleich bodenständige Aroma — des von der Brustdrüse der Wanze abgesonderten Wehrsekrets — zu einem Aftershave. Vor meiner geistigen Nase nähme schließlich eine komplette Pflegeserie für den Herrn Gestalt an, mit Shampoo, Deo-RollOn, Intimlotion undsofort. Für das Marktsegment der frustrierten, heterosexuellen männlichen Mittelschicht jenseits der Vierzig, den kleinwüchsigen leitenden Angestellten und ewig Zurückgesetzten, die von Gram zerfressen — wohl für immer — lediglich niedere Stellungen bekleiden werden, in provinziellen, mittelständischen Unternehmen, welche schon einmal bessere Tage sahen. Recht protzige Flakons aus anthrazitfarbenem Rauchglas würden es wohl werden, für deren Form die charakteristische Silhouette eines Wanzenkörpers Pate gestanden hätte. Oder auch entfernt wie eine Urne, irgendwie mit Metallic und geilen Buchstaben, die ewige Jugend verheißen.
3. November 2007