Herr No genießt die Aussicht
An manchen Tagen ist die Wohnung so ferienhaushaft in ihren Zeichen der Unbewohntheit, den Staubmäusen die sich zusammenrotten oder dem Wasserhahn der pathetisch quietscht. Und manchmal sehne ich mich fort von den nächtlich brabbelnden Fernsehern in ein traditionsreiches Sanatorium in dem strikte Nachtruhe herrscht. Behelfsweise zieht es mich zu ausgewiesenen Stätten der Naherholung. Ja, der Eintritt würde erhoben um die Abgaben für die Flugsicherung zu bestreiten sagt die Frau am Imbisstresen des Aussichtsturmes im Osten, an dem die Ausflügler auch gehalten sind Billets zu lösen, die sie zum Aufstieg berechtigen. Das kostet eine schöne Stange Geld sagt sie auf Nachfrage einer forschen kleinen Mutter, ja, selbstverständlich sei der Obolus pro Nase zu entrichten, und ich weiß, daß sie flunkert, wie sie ihren Blick senkt und den ausliegenden Pflaumenkuchen fahrig ordnet mit einer Plastiktortengabel. Das Objekt ist nicht gut in Schuß, man wähnt sich beim Treppensteigen in eine Kulisse des Computerspieles Resident Evil versetzt. Oben auf der Plattform lassen sich die Frauen die Sonne ins Gesicht scheinen und blinzeln geziert, während die Männer systematisch die Skyline erklären. Ich verspüre auch einen Skylineerklärungsimpuls in mir – und gebe ihm nach. Lange Ruderboote gleiten durch sonnenweiß glitzerndes Wasser und entfernte Kühltürme stehen kalkweiß vor dunkelvioletten Schneewolken. Man könnte hier recht komfortabel Selbstmord begehen, die Balustrade ist nicht sehr hoch, ich beschränke mich darauf runterzuspucken. In meiner Hand, der Schlüssel des Turmes, der letzte schließt dann bitte ab. Sie sind der letzte. Am Bund ist zudem ein orangefarbener Schuhanzieher befestigt sowie ein moosgrünes Synthetikband, in welches die Internetadresse des deutschen Heeres nebst Emblem eingewebt ist.
27. März 2008