Écriture automatique II

Die Feldheuschrecke, die vormittags gegen elf, als ich auf der Veranda saß und einen Roman las, erschien und vor meinen Füßen umhersprang, bald auf den Boden bald auf den Rand der Pflanzenkübel, hier leider von mir zunächst unbemerkt, auf einen Rosenstock im Kübel, den ich neulich, da von Schädlingen befallen, reichlich mit Pestiziden zu besprühen gezwungen war. Gleichso, wenigstens ähnlich ergeht es auch den vielen Tölpeln, die sich Berlin aussuchen als sogenannte Wahlheimat, und dort zudem die schlimmsten Bezirke wählen, namentlich Berlin-Mitte, Friedrichshain, und, in weiten Teilen Prenzlauer Berg. Aus all den guten Orten, die ein Mensch, ein junger zudem, wählen kann als neue Heimat in Europa, der Welt, taumeln diese Idioten dahin, wo es nur so wimmelt von anderen Idioten und wo ein ungemein schädliches, ja giftiges geistiges Klima herrscht, an dem man unweigerlich zugrunde gehen muss. Die Welt ist schließlich kein Roman von Fallada; im Gegensatz zum falladaschen Helden, treibt die Idioten jedoch nicht eine Idee von Großstadt, eine persönliche Vision gar, nein, sie treibt natürlich nur ihre Dummheit, der Instinkt zwingt sie, mit anderen Idioten eine Kolonie von Idioten zu bilden, sich fortzupflanzen, gleichsam ein neues Idiotengeschlecht zu gebären. Berlin ist nicht Los Angeles, Lugano, Prag oder gar Rom, das den Zuzug von Idioten durchaus verkraften könnte, das den dumpfen Menschen möglicherweise mitreisst und emporweht, ihn hebt und läutert, mit dem frischen Wind, der in Weltstädten waltet, entweder durch die Bausubstanz, die Schönheit seiner Frauen, die prosperierende Wirtschaft, oder, dies als das Höchste, als Ideal quasi: mit der Kunst und dem Denken, das in einer Stadt herrscht. Es ist nun leider aber so, daß immer neue Idioten, in der kläglichen und unsinnigen Absicht, ihrem stumpfsinnigen Provinzleben, durch eine Veränderung der äusseren Umstände Sinn und ein Quentchen Lebensfreude abzutrotzen, auf hier bereits seit Jahrzehnten lebende, also wie Pilze verwurzelte Dummköpfe treffen, und die schon stickige Luft wird somit unweigerlich immer noch stickiger und unerträglich geradezu. Die Idioten ziehen sich also gegenseitig noch weiter hinunter auf den Boden, die Gosse, in den Lethestrom. Insbesondere Ostberlin, die von mir genannten Stadtteile, die vielen verkommenen Gegenden dort, vereinigen alles Schlechte der Großstadt mit dem Muff der Provinz, pappen in ihrer baulichen und geistigen Enge, das Negative gleichsam zusammen zu einen gewölleklumpenartigen Moloch, den eine rachitische Hyäne in den märkischen Sand würgte. Ich bedaure dies alles sehr, da Berlin meine Geburtsstadt ist, mich somit wenigstens emotional einiges an die Stadt bindet. Berlin gilt wohl ungebrochen mancherorts als Weltstadt, nämlich überall dort auf der Welt wo sich die Jugend an der Bushaltestelle trifft. In Berlin wohnen! Als Künstler, als Techno-DJ, als Blogger oder um Becksbier zu trinken und ein iPhone auf den Gaststättentisch zu legen. Die Kunst, die in Berlin produziert wird, ist die Kunst von vor zwanzig Jahren, ebenso wie die Musik und die Literatur; die gängige Mode ist geradezu grotesk lächerlich, man würde Menschen in anderen Städten so selbst den Zugang zu einem zoologischen Garten oder einer Minigolfbahn beispielsweise verwehren, da sie natürlich sofort als überholt und abgeschmackt erkannt werden würde. Die selbsternannte Avantgarde ist ein Haufen von betrunkenen Narren, der sich zu Unrecht des Begriffes der Bohème bemächtigte um ihn mit Füßen zu treten und zu beschmutzen. In Wahrheit handelt es sich natürlich um Kleinbürger und Zurückgebliebene; Kinder deren Federtaschen in jeder Schulpause aus dem Fenster geworfen wurden damals, das ist ja offensichtlich. Objektiv spreche ich von Gescheiterten, die keinen Nagel gerade einschlagen könnten, und dieses Unvermögen dann wortreich und zugleich dumm, dem Hammer, dem Nagel oder dem Holz anlasten würden, die nicht Schillers Lied von der Glocke rezitieren könnten, geschweige denn einen einzigen geistreichen Standpunkt zu irgendeinem beliebigen Thema liefern könnten, selbst wenn es sich um typische Idiotenthemen wie Dubstep oder Social Web handelte. Begünstigt wird die geschilderte Abgeschmacktheit des Auftretens und der dort im Osten herrschenden faden Gedanken noch durch die widrige Wohnsituation in den genannten Bezirken, Berlin Mitte und Friedrichshain beispielsweise, Prenzlauer Berg nicht zu vergessen. Im Gegensatz zu den sehr schönen und geschmackvollen bürgerlichen Bezirken des Berliner Westens, sind die Ostbezirke von baulicher Enge geprägt, es dominieren die Arbeiterquartiere, großzügige Boulevards und schöne Parks wird man dort leider vergeblich suchen. Ich nenne diese Umstände um zu verdeutlichen, wieso die Menschen, die in Ostberlin als Künstler ihr Leben fristen müssen (selbstverschuldet), so verhärmt wirken, käsebleich und von schlechter Körperhaltung gezeichnet sind, sie bewohnen ehemalige Mietskasernen, feucht zumeist und von Schwarzschimmel befallen mitunter, die zu gefragten, den gefragtesten Quartieren der Stadt wurden; Miethaie und Immobilienspekulanten lachen sich ob dieses Umstandes natürlich zurecht ins Fäustchen. Sie müssen sich das bitte vor Augen führen, schummrige und stockige Hinterhofwohnungen zu einem Preis, zu dem sich spielend ein Haus in Italien kaufen ließe, an den herrlichsten Orten wohlgemerkt, mit Blick auf den Lago Maggiore beispielsweise, den Garten voller Zitronenbäume etcetera. In dieser schlechten Umgebung also, Berlin Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg als Beispiel, zwischen Müll und Hundekot, umnebelt von Autoabgasen, in Gesellschaft der größten Idioten der Welt natürlich, bei stumpfsinnigen, sich unerträglich im Kreise drehenden Gesprächen, zudem ohne Blick auf Bäume oder den Himmel kann nur Schlechtes entstehen, das ist jedem klar, es ist ja überdeutlich. Es verbleiben nunmehr nur noch einige wenige akzeptable Stadtbezirke in Berlin, wie Westend, wenige Lagen in Wannsee und Grunewald in denen es sinnbildlich nach Amerika, nach Atlantik und nach Aglianicotrauben riecht und nicht nach Kohleverstromung, Hundekot und Becksbierneigen. Es ist ja so, daß selbst Ostdeutsche, die ich hier in Westend durch die Straßen führe oder in ein gutes Restaurant einlade, ganz beeindruckt, geradezu geblendet sind in Angesicht der großzügig angelegten Straßen, einer kühnen Achse wie dem Kaiserdamm etwa, und mir ihren Wohlgefallen hundertmal versichern, wenn wir vor den prächtigen Stadtvillen mit den schönen Gärten stehenbleiben und den alten Baumbestand betrachten, die nach dem Kriege von kundiger Hand renovierten Fassaden, aber auch, oder mitunter gerade die – einst von wegweisenden und führenden Architekten pfiffig und modern geplanten – Betonbauten der Bauausstellung. Zusammenfassend lässt sich sagen, daß selbst die häßlichsten Lagen Westberlins mehr Charme und weltstädtischen Esprit versprühen als ganz Berlin-Mitte, diesem widerlichen und alles verwesenden Pestizidkübel.



28. Juli 2008