Écriture automatique III
Kürzlich stürzte sich die Berliner Journaille, wie Hyänen in Angesicht einer halbverwesten Gazelle, auf das angeblich verstärkt auftretene Phänomen der körperlichen Übergriffe auf Busfahrer. Daß das gesellschaftliche Klima, wie man sagt, rauher werden würde, stand in allen Zeitungen, wenn nicht sogar zusätzlich zu vulgärmarxistischen, also unglaublich stumpfsinnigen Erklärungsversuchen ausgeholt wurde, oder im Rundfunk, den Opfern selbst, den Busfahrern also, Raum geboten wurde, ihre Meinung zu den erlittenen Misshandlungen zusammenzustammeln. Nun ist es ja jedem bekannt, daß es sich bei Berliner Busfahrern um sehr schlechte Menschen handelt, es ist bereits ein Klischee, man kann wohl durchaus weiter gehen und von gesellschaftlichen Schädlingen sprechen, die über Jahrzehnte das Volk schikanierten, mit einer nur den Busfahrern eigenen Form des kleinbürgerlichen Terrors, der sich vornehmlich gegen kleine Kinder, Senioren und Behinderte richtete, und schon hieran kann man leicht erkennen, wie verschlagen die Busfahrer über Jahre waren, es wohl noch sind. Mir drängt sich beim Lesen dieser verblödeten Meldungen sofort das Bild eines Gärtners auf, der Nützlinge in eine Salatkultur einsetzt, um der Schneckenplage Herr zu werden. Ein guter und natürlicher Vorgang, wie man sagen kann, durchweht ihn doch auch der Odem göttlicher Gerechtigkeit, ein wenig altestamentarisch zwar aber irgendwie voll OK. Schwangen sich die Busfahrer einst auf, das ihnen anvertraute Habitat zu dominieren, nach eigenem Gutdünken ein furchtbares Lederwestenregime zu installieren, wird ihnen nun zurecht Einhalt geboten und eine angemessene, körperliche, somit für Busfahrer deutliche Lektion in Demut zuteil. Der rabiaten Jünglinge könnte man sich schließlich, wenn die Busfahrer sich wieder in ihre angestammte Rolle als Lakaien des Volkes fügen, vermittels eines gigantischen Fußes entledigen, der aus den Wolken herabführe um alles unter sich zu zermalmen – theoretisch. In Wirklichkeit bedient sich das Weltgefüge natürlich subtilerer Mittel. Diese Rüpel, über die empört berichtet wird, werden unter dem Einfluss von Videofilmen derartig massiv mit Stumpfsinn infiltriert, daß sie einfach sehr rasch an Verblödung sterben; unweigerlich von Hirnerweichung und finalem Schlag dahingerafft werden müssen. Dies ist nun erstmalig eine These, die man als gewagt bezeichnen könnte, aber ich besuchte kürzlich eine Videothek in einem Armenviertel Berlins, seitdem halte ich sie für ziemlich plausibel, ja regelrecht stichhaltig, entwickelte die These genau genommen eins, fix, drei vor Ort, unentschlossen zwischen den Regalen herumstromernd, umgeben von kleinen, muskulösen und stark parfümierten Männern in weißen Jogginghosen. Ey, ischschwör, ein Monat habisch 72 Filme gesehen, Alter, sagte der eine Heranwachsende beispielsweise recht frank, in der Hoffnung, bei seinen kleinen Freunden mit diesem Bekenntnis Eindruck schinden zu können. Und der Mann hinter der Theke rief so durch den Laden, wohl für einen, der zum ersten Mal dort war, wohl um die Ausstellung eines Leihausweises ersucht hatte, ey, is Mustafa Vorname oder Nachname so? Hahaha, der niedere Stand rekrutiert sich aus Narren, gebiert die Narren genau genommen. (Was ich nicht weiss, bringt’s das, gehörten Soziolekt zu transkribieren? Ich bin ja schließlich nicht James Joyce.) Unentschlossen Maulaffen feilhaltend, kristallisierten sich in meiner Beobachtung die Genres Kriegsfilm, Porno und so Kampfsportstyle als am beliebtesten bei der anwesenden Klientel heraus, diese Regale waren also besonders umringt von kleinen, parfümierten, muskulösen Männern. Wieso sehen eigentlich Männer, die danach trachten, sich besonders heterosexuell zu gebärden, stets am schwulsten aus? Das Publikum mutete also an, wie ein verblödeter, schwuler Kindergarten, der mutmaßlich in feuchten Souterrainwohnungen haust und sich von Mauerwerkspilzen und kaltem Dönerfleisch ernährt weil die Mikrowelle kaputt ist. Auch verstand ich bei diesem Besuch zum ersten Mal überhaupt die Bewandtnis der Genrebezeichnung Anspruchsvoller Film, es fiel mir gewissermaßen wie Schuppen von den Augen. Es handelt sich um Filme, in denen die Handlung von Dialogen und nicht von Autoverfolgungsjagden bestimmt wird. Somit ist auch deutlich, wieso in diesen Regalen immer soviel schlechte Filme stehen, eilig zusammengeschusterte Machwerke artifizieller Prägung, also der allerschlimmste Schund überhaupt, sind doch Dialoge bekanntlich der Feind des filmischen Films. Ja, nee, ich bevorzuge selbstverständlich auch Filme, in denen Konflikte mit Schußwaffen gelöst werden, Kraftfahrzeuge explodieren, schaurige Ungeheuer auftreten und vermittels raffinierter Tricktechnik, modernen Computerprogrammen wohl, die Illusion erzeugt wird, daß durch die Einwirkung von Gewalt, Körperteile vom Rumpf der Darsteller abgetrennt und entfernt – optional auch verzehrt – werden. Allerdings muß der Film wenigstens die Oberfläche bieten, über sich hinauszuweisen. Wenn jedoch eine Panzermine nur eine Panzermine ist, durch die Luft geschleudertes Sperma nur durch die Luft geschleudertes Sperma ist, muß der Betrachter, wie gesagt, unweigerlich an Verblödung sterben. Das gilt aber auch für die armseligen Cretins, die ernsthaft das Feuilleton der FAZ lesen oder im Fernsehen Talkshows betrachten, in denen Volker Kauder und Oskar Lafontaine fettärschig in den roten oder orangen Sesseln der Fernsehanstalten herumsitzen und Standpunkte vertreten; beim Betrachten sterben sofort Gehirnzellen ab – umgehend und irreversibel leider.
Ich lieh übrigens schließlich die Spielfilm-DVD Iron Man aus; die erste dreiviertel Stunde war voll scheiße und voll langweilig auch, dieses umständliche und amerikanisierte, somit stumpfsinnige Golem-Motiv, dann aber richtig geile Effekte so, dem Zuschauer wurde quasi Einblick in die Arbeitsräume eines Superhelden gewährt, der mit dem Design seiner selbst beschäftigt war. Diese Szenen bestachen sehr.
1. November 2008
Natürlich kamen viele Fragen und Gedanken zu diesem schönen Text auf, aber eine einzige möchte ich ausformulieren:
Was sonst als durch die Luft geschleudertes Sperma könnte durch die Luft geschleudertes Sperma denn sein? Ich habe darüber intensiv nachgedacht.
Und ich schloss aus dem Unvermögen, eine Antwort zu entwicken, dass sich Freude an Gewalt, an abgetrennten oder gegessenen Gliedern, an pulversisierten Städten oder geschändeten Frauen nicht glaubhaft veredeln lässt durch die Behauptung, es müsse eine Transferdeutung möglich sein.
Ich glaube, wir sollten mutiger sein und endlich zugeben, dass Gewalterlebnisse auf der Leinwand sehr attraktiv sein können.
Wir wollen die Abtrennung eines Armes einfach nur mmer wieder anders sehen. Mal blutig, mal chrirurgisch, mal rechts mal links. Mal durch Monsters Zahn, mal durch Serienkillerbesteck.
Das ist doch legitim und bedarf keiner Auslegung, oder nicht?
Das mit dem Sperma und den Panzerminen schrieb ich, um beispielhaft zwei filmische Genres, nämlich Kriegsfilme und Pornos zu benennen, die zu wenig die Ebene des Abgebildeten verlassen. Pornofilme weisen jedoch insofern über die Nachbildung von Realität hinaus, als das sie vielmehr eine sehr künstliche, wohl eher männliche Idealvorstellung von Sexualität repetieren und dies über Jahrzehnte, wohl seit es Pornografie überhaupt gibt. Semiotisch betrachtet, ist das durch die Lüfte geschleuderte Sperma, in dieser speziellen Pornoform, Zeichen für eine gespielt lustvolle Bestrafung der Frau, die Bestrafung der Frau für ihre, den Mann erregende Erscheinung. (Im Prinzip ist das ungeheuerliche Kritik an der Schöpfung.) Eine endlose Variation der Bukkake-Legende gewissermaßen. Somit ist Sperma eben nicht nur Sperma, sondern auch Zeichenträger. Nun behauptet aber der pornografische Film vollkommen unironisch, daß es insbesondere für die Darstellerin ein Höhepunkt sei, wenn ein lediglich mit Tennissocken bekleideter, schmerbäuchiger Mann an die mit geöffnetem Mund vorgeblich entrückt Kniende herantritt, um ihr, vermittels Ejakulat, das in der Regel sehr gute, mutmaßlich von einer gelernten Visagistin aufgetragene Make-Up zu ruinieren. Das Genre krankt eben auch an der Kluft, die zwischen gewünschter Botschaft und darstellerischer Leistung klafft.
Der Kriegsfilm wirbt einleitend um den Zuschauer, versucht eine moralisch begründete Bindung des Zuschauers an die Protagonisten zu erzeugen, um anschließend das Bedürfnis des Betrachters nach Gewalt zu befriedigen. Die Gewalt nur noch abzuspulen – pornografisch. Der Antikriegsfilm ist jedoch weitaus schlimmer, er postuliert die Sinnlosigkeit von Kriegen, und zeigt, um diese These zu untermauern noch mehr Gewalt, das totale Scheitern aller Darsteller. Mich langweilt der Kriegsfilm; man kann guten Kriegsfilmen jedoch nicht absprechen, Motive zu enthalten, die über die Kernhandlung hinausreichen, wie etwa das überdeutliche, märtyrerhafte Jesusmotiv in der guten Spielfilm-Tetralogie Rambo.
Verfügt nun aber ein Film nicht über Subtext, wenigstens über eine Oberfläche, wie ich schrieb, für eigene Assoziationen, so muss der Betrachter verblöden, wird unweigerlich an seiner Verblödung zugrunde gehen.
Aus diesem Grunde stellt der phantastische Film, namentlich der Horrorfilm die eigentliche cineastische Königsdisziplin dar. Ist doch der abgeschnittene Arm keineswegs nur ein abgeschnittener Arm, sondern visualisierte Urangst beispielsweise oder die sich in den Tätern des Slasherfilms der siebziger Jahre materialisierende Prüderie des christlichen Amerikas. Darsteller, die vorehelichen Geschlechtsverkehr praktizieren, sterben meist zuerst, wie beispielsweise in Freitag der 13. oder Halloween. Wurde ja alles in den verschiedenen Teilen des Spielfilms Scream noch mal messerscharf analysiert und nachgewiesen. Eher langweilig sind – so gesehen – jene Horrorfilme, denen der Ruf des verblödeten Feuilletons vorauseilt, sie bildeten die schädlichen gesellschaftlichen Bedingungen in Amerika ab, wie über das – zur Hochkunst zählende – Werk des Georg A. Romero gesagt wird.
Im übrigen haben Sie schon recht, bin ich doch ein großer Freund des Vigilanten-Genres, welches so ziemlich alles schlechte erfüllt, was ich am Kriegsfilm oben geisselte. Namentlich das underacting, die stoische Betonmimik des Charles Bronson in Mr. Majestyk etwa, hat es mir hier angetan. Im Endeffekt gibt’s eben Filme die geil sind und andere, die nicht geil sind, sag ich mal so.
Oh! Das hat mich wirklich überzeugt. Sie sagen wirklich nichts einfach so, weil es vielleicht gut klingt. Ich werde jetzt etwas nachdenken.