Die Rückkehr der Schmarotzerhummel
Ich versuche einen Artikel über Schmarotzerhummeln zu lesen, jedoch sitzen linker Hand zwei Männer, die über die Ästhetik von Immobilien reden, über Vortstadtvillen an der Rehwiese, die in eloquenten Sätzen die Form der geschwungenen Dächer beschreiben, die der steinernen Bänder, die sich in jugendstilhafter Spannung an der Fassade entlangziehen, begleitet von vornehmen Gesten, die sich aus der frühen Lektüre von Poesie und schöngeistig motivierten Italienreisen zu speisen scheinen. Filigrane, feminine Finger, die das Feuilleton nur sanft knittern und zärtlich das schellende Telefon ertasten wie den Penis ihres Partners; die die gelb bezeichneten Haltevorrichtungen der Bahn weich und doch voller Zutrauen umschließen, bereits wenn der Waggon nur leicht krängt, die randlose Brillen, von einem dezent herbstlichen Herrenduft umschmeichelte erdfarbene Tweedjackets, Mützen gleichen Materials wie gleicher Valeurs sowie frisch gestärkte van Laack Hemden tragen, aus deren Kragen, der herbstlichen Frische wegen, gedeckt seidene Halstücher herausragen.
Zu meiner Rechten, sitzt ein Mädchen, eine junge Frau von hagerer Gestalt, ihr Haar ist so frisiert, wie es jetzt mitunter wieder Mode ist, im Stile der vierziger Jahre, recht streng zurecht gesteckt, zu einer Art geschwungenen Langhaartolle, die an die Fotografien der fürchterlichen Familienministerin gemahnt. Ihr gegenüber sitzt ein Junge, leger – er flezt, wie gesagt werden kann, auf dessen Winterjackenrücken ein stilisierter Skorpion aufgestickt ist. Er hat einen Stoffbeutel dabei, ein Werbegeschenk des deutschen Bundestages, in dem leere Flaschen klunkern. Der Junge schweigt und hört zu, gelegentlich sagt er Affirmatives, wie krass, oder uff jeden, oder er nickt, offenbar high von Haschisch. Und das Mädchen erzählt viel, pausenlos, es stürzt aus ihr hervor, trotzdem spricht sie ruhig und unaufgeregt, in kurzen Sätzen, Puzzlestücken gleich, die durch die Schwerkraft zu einem traurigen Bild zusammengerüttelt werden; die Geschichte von dem Mann beispielsweise, der der Vater ihres Kindes ist, der sie während der Schwangerschaft verließ, wegen einer anderen Frau, der heroinabhängig ist und ihr jüngst per SMS seine Rückkehr avisierte, ihr trügerisch seine wieder erwachte Liebe versicherte, um dann, beim ersten Besuch, nachdem er sie beschlief, den Computer zu stehlen und zu verschwinden. Sie ist jung, trägt ein tailliert geschnittenes Camoujäckchen, das nicht hinreichend über die Nieren geht, die kurzen Beine sind von weißen weiten Sporthosen aus Jerseystoff bekleidet und ihr schmutzig blondes Haar erscheint durch das viele Haarspray von einer Beschaffenheit wie Sandstein zu sein, so spröde, als könnte man Teile davon abbrechen.
7. November 2008
„Fürchterliche Familienministerin“ ist eine schöne Alliteration.
uff. Nicht das Elend, das Sie beschreiben, schockiert, sondern die Ahnung, einige Male an diesen Lebenssituationen vorbeigeschrammt zu sein. Zunächst nicht wissend, dass die Kratzer im Lack aus einer solchen kommen, vielleicht. Und die Altersweisheit hat gelehrt, dass der Grat papierdünn ist. Die Wand aus Seide. Von hier nach dort.
Es wird immer schwerer so zu tun, als sei es anders!