A Day in the Life

Die Polizeibeamten, die im Schatten ihres Kleintransporters kugelsichere Westen anlegen, Handschuhe anziehen, um dann den Bahnsteig entlang zu patrouillieren.
Der junge Mann in der Kaufhauspassage, der in der Verkleidung eines mittelalterlichen Händlers, hinter der Theke eines antik gebeizten Holzhäuschen steht, um Lebkuchen zu verkaufen. Das Dach der Verkaufsbude hat eine dicke Schneedecke aus Kunststoffflocken, und der mutmaßlich unterbezahlte Pseudo-Knappe drückt nebenher die Tasten seines Mobiltelefones, er trägt wildlederne Stulpenstiefel, einen geschoppten Wams und einen Hut mit einer langen Feder.
In der Augenarztpraxis bekommt ein Mann seine sehr starke Sehschwäche attestiert und an seiner Kleidung wird eine gelbe Anstecknadel mit drei schwarzen Punkten befestigt, er wird dabei bald geführt, bald gestützt von einer jüngeren Frau – vielleicht seine Tochter, vielleicht seine wesentlich jüngere Gattin.
Handelt es sich also um Indizien für die Gültigkeit von speziellen Modellen, nach denen das Weltgefüge ewig abläuft, wenn man kulturhistorisch bedingte Parameter herausgerechnet, wie die Bedrohung durch Schußwaffen, die Medizin, Matrixfehler oder den Surrealismus, von Anbeginn an, oder sind es einfach nur nicht erweiterbare Unterklassen des Prinzips Großstadt?
Wie die Medien berichten, wenn ein Flugzeug abstürzt und alle Passagiere verbrennen. Es ist einerseits ein betrübliches, ein trauriges Ereignis, wenn Technik versagt und wenn Leben erlischt. Aber es lässt sich ein Modell bilden für das Leid und die Niederlage: die Flugzeuge dieser Serie hatten beispielsweise gravierende Mängel in der Konstruktion, wie herausgefunden wurde oder der Pilot war betrunken. Muss die Kontrolle der Luftfahrtgesellschaften verschärft werden, wie sicher ist das Fliegen heute, sind Fragen, die die Medien aufwerfen, um, vom uns umfangenden Tod, vom ewigen Scheitern der Technik abzulenken, das Grauen auf eine erträgliches, somit verkäufliches Maß – ein Maß an Wirklichkeit, das menschliche Handlungsfähigkeit suggeriert, herunterzuschrauben.
Die kugelsicheren Westen, als symptomatisch für die Bedrohlichkeit des kriminellen Bahnhofsmilieus, die Skrupellosigkeit und Verruchtheit des Verbrechens allgemein, als wäre mein Gehirn das Boulevardfernsehen, werden die – dem christlichen Topos Babylon zugehörigen – Bilder von im Erbrochenen Schlafenden, von fortgeworfenen Einwegspritzen, an denen geronnenes Blut haftet, von hysterischen Huren, hoffnungslosen Trinkern und im Rausch erhobenen Waffen innerlich eingeblendet.
Der historisierende Lebkuchenhandel, der den Passanten manufakturartige Produktionsmethoden und Klimakitsch vorgaukelt; Insignien eines Lügengebildes, die ich gedanklich versucht bin, mit einem Flammenwerfer auszumerzen, da sie so sehr falsch und schädlich scheinen.
Dann das Anstecken eines Emblems des Verfalls, das im Wartezimmer, unter den Augen der anderen Wartenden stattfindet; das Geführt werden, die Furcht – meine Furcht vor dem Zerfall des Gewebes, daß sich das Auge trübt konkret, ferner vor dem Eindringen von Viren und Krankheiten in den Körper – dieses verletzliche Fleischvehikel, das Ermatten der Körperfunktionen, das in Auflösung begriffene, vergessliche Gehirn; Synapsen die erlöschen, Zellen, die nicht mehr – nie mehr mit Sauerstoff versorgt werden und so fort.
Später am Nachmittag, da die Sonne hinter ein finsteres, oben eisblaues Wolkenband sinkt und sich oben kalt und schwarzblau das All wölbt, stellt sich kein plumpes Trugbild ein, aber eine diffuse Gewissheit von Wahrheit und Endlosigkeit.



2. Dezember 2008