Die Hasenstatue
Ich begehe mit S einen schmalen Weg aus Lehm, der um einen mittelgroßen, von Buchenwald gesäumten See in Ostdeutschland führt. S trägt einen leger geschnittenen Freizeitanzug aus graumeliertem Jerseystoff mit elastischen Bündchen aus Lycra.
Deine Kleidung wirkt sehr bequem, sage ich zu S.
In einigen der zahlreichen kleinen Buchten sitzen stark tätowierte Skinheads mit großen Problemhunden und nagen schweigsam am Hungertuch. Am Ostufer des Gestades befindet sich ein Ferienlager für polnische Jugendliche, die sich heute, da die Sozialarbeiter MCing als Tagesordnungspunkt vorsahen, in einem Rapbattle messen, daß die derben Beats über die spiegelglatte Oberfläche des eiszeitlich bedingten Standgewässers schallen und einige Wasservögel schreckhaft auffliegen.
Da gewahre ich, noch vor S, im zwielichtigen Dickicht halb verborgen, die aufgelassene Keusche eines Waldbewohners. (Der Waldbewohner ist an einer Lungenkrankheit verstorben und seine Leiche wurde von Tieren aufgefressen entnehme ich einem Pop-up, welches sich bei Annäherung öffnet.) Auf einer Lichtung unweit der Keusche, liegen vermodernde, bald ins Erdreich sinkende Kunstbildbände verteilt, Tizian, Brueghel und Canaletto etwa; die Bildtafeln sind vom Regen aufgefächert und im Verblassen begriffen, von falben Insekten bewohnt und somit naturgemäß zu Humus zerfallend, wie alles Unbeseelte mit der Zeit. Von der widrigen Witterung weitgehend unbeschadet geblieben, da unter dem überkragenden Dach der Keusche auf einer Bank stehend, ist jedoch eine, aus dunklem Eschenholz geschnitzte, circa zwanzig Zentimeter hohe Statue, welche einen Hasen in sitzender Position abzubilden scheint. Die Hinterpfoten des dargestellten Hasens sind mit klassischen Herrenhalbschuhen bekleidet, wobei die hinteren Läufe des Hasens, eng um den Körper geschmiegt sind, als läge der Innenrist der natürlich ebenfalls geschnitzten Herrenhalbschuhe am Steiss des sitzenden Hasens. Die Struktur des Hasenfelles ist etwas stilisiert und folgt in seiner Form, ebenso wie die, von Ernsthaftigkeit zu Verhärmtheit überhöhte, Physiognomie des Hasens, der expressiven Idee des Künstlers; die Ausführung der hölzernen Herrenhalbschuhe jedoch ist von peinlichstem Naturalismus geprägt, jede Öse, jede Zwienaht, ja selbst die, sich widerspenstig, wie im Winde windenden Schuhbänder wurden von kundiger Hand detailgetreu in das gute Hartholz geschnitten. Kopf und Extremitäten des Hasens, der tatsächlich kein Hase ist, auch kein Hase aus Holz, sind, im Vergleich zu dem Körper, überproportional groß dargestellt. Die ganze Form der Statue wird weiters durch die recht komplexe, auch kleinteilige Maserung des Eschenholzes gebrochen und im Gehirn des Betrachters erweitert wie Bauschaum.
27. Dezember 2008