Herr No entlarvt den Begriff der Schönheit erneut als sinnlos
Neulich ging ich im Rahmen von Besorgungen an einem Haus vorbei, das einst einem expressionistischen Seestückmaler als Wirkungsstätte diente, ferner verstarb in der Beletage ein Adliger im Kugelhagel zotteliger Terroristen. Ein gutes und geschichtsträchtiges Haus also, mit Böden aus Fischgrätparkett, welches mit ausnahmslos geschmackvollen Läufern in gedeckten Farben belegt ist (sicherlich).
Manchmal schreite ich in Ostberlin an einem übel beleumundetem Bordell vorüber und neulich stand dort ein handgeschriebenes Schild in den rot verschleierten Fenstern des Etablissements: Neue Thaimodelle eingetroffen. So wie Dinge mitunter zugleich wahr und falsch sind, so ähnlich ist auch dieses Schild traurig und lustig zugleich. Vom Duktus des Schildes auf den Schreiber zu schließen kann den Zyniker erheitern, ihn sich als den Arbeitgeber der neuen Thaimodelle vorzustellen, ist jedoch der betrübliche Aspekt des Schildes – der Situation hinter dem Schilde –; ihnen dräut wohl in jeder Hinsicht kein Zuckerschlecken, ganz zu schweigen von meinem ersten Gedanken: was geschah wohl mit den alten Thaimodellen? Fürchterlich. Auch dieses junge frustrierte Elternpaar in der Bahn, das das Leben zusammengeschüttelt hat, wie es mit Kleinstprodukten auf einem Rüttelband geschieht, welche man aus den Propagandafilmen des Fernsehens kennt, die in reisserisch wochenschauhaftem Ton die industrielle Fertigung verherrlichen. Die weiblichen Kurven, der wohl einst anmutig gebauten Mutter, die im Begriff sind, von Tiefkühlfett egalisiert zu werden, der Swarovskistein, der zwischen ihren spitzen Nagerzähnchen aufblitzt, wenn sie den Zwillingskindern, die bleich und verschüchtert in ihrem Zwillingskinderwagen kauern, ungehaltene Anweisungen zubellt und der Bürstenhaarschnittvater an ihrer Seite, mit großen Schuhen und eingefallenen Wangen, eine gebrochene, eine käthekollwitzsche Existenz. Hier gilt das Leben nichts, es ist ein hässliches Land, von Würmern besiedelt, es ist Ostdeutschland. Kinder und alte Thaimodelle enden in der Tiefkühltruhe oder Spaziergänger machen einen grausigen Fund im Unterholz, man kennt das aus dem Fernsehen.
Ich sitze übrigens momentan auf meinem italienischen Dreitausendeurosofa in meinem mondänen Westendappartement und trinke eine schöne Tasse Kaffee. Die Tasse ist auch ohne Kaffee sehr schön – sie ist von Villeroy & Boch®. Es ist ja immer zum lachen, wenn Menschen sagen, sie würden jetzt eine schöne Tasse Kaffee trinken. Besser noch, wenn sich Menschen eine schöne Tasse Kaffee gönnen, als sei die schöne Tasse Kaffee, eine, wenn auch nur kleine, so doch überaus verdiente Zäsur in einem puritanischem, von Entbehrung und Lohnarbeit geprägtem Leben.
Es stellt sich die Frage, was ist an der Tasse Kaffee schön, wenn beispielsweise das Matterhorn auch schön ist, oder eine Frau schön ist. Was eint also das Matterhorn, die Tasse Kaffee und die Frau (die nicht hübsch ist, da sie schön ist)? Ist es dumm, eine Tasse Kaffee als schön zu bezeichnen, wenn das Matterhorn – das auch als erhaben bezeichnet werden kann – als schön bezeichnet wird, oder ist es vielmehr ein Indiz für die Weisheit des Kaffeetassenschönfinders; ist doch das Entdecken von Schönheit in den Dingen, wenn auch nur in aufblitzenden Spuren, die Fähigkeit des wahren Schöngeistes, der die Schönheit nicht nur in den Künsten und der Natur entdeckt, sondern auch in den unscheinbaren, den profanen und künstlichen Dingen. Das einende Element ist wohl die positive Empfindung die das Schöne im Gehirn des Betrachters, des Fühlenden hervorruft, ein chemisches Wohlfühltheater also.
Kann aber etwas schön sein, wenn ich es in eine Staffelung zu anderen, mehr oder weniger schönen Dingen bringen kann, also wenn ich das Matterhorn schöner finde als die Frau oder umgekehrt? Nehme ich an, es gibt so eine Staffelung, wann hört das Bezeichnete auf, schön zu sein, wann beginnt das Gewöhnliche, wann das Hässliche? Wenn das Minderschöne folglich auch immer das Gewöhnliche, das Hässliche in sich trägt, kann es dann überhaupt schön sein? Oder ist das wahrhaft Schöne vollkommen schön und der nötige Kontrast, um das Schöne als schön empfinden zu können, befindet sich an einem anderen Ort, jedenfalls in einem anderen Ding. Gewiss ist wohl, daß die Schönheit der Frauen und die Schönheit der Kaffeetassen vergänglicher, sowie stärker dem Wertewandel, dem veränderlichen menschlichen Schönheitsideal unterworfen sind als das Matterhorn. Das Matterhorn ist, wenn nicht ewig, so doch sehr lange schön, am schönsten vielleicht, weil es der Archetyp des Berges ist – Emblem des Alpinismus allemal. Frauen sind jedoch nicht unweigerlich am schönsten, nur weil sie breite Hüften und große Brüste haben, wie die Venus von Willendorf beispielsweise…
9. Januar 2009
Wenn ICH sagen würde: „ich mache mir jetzt eine schöne Tasse Kaffee“, dann stimmte das, ganz ungeachtet eines Kontrastmittels wie etwa eines Kontexts. Auch bedürfte es keiner „Auslegung“. Es wäre ganz wörtlich zu nehmen: Denn ich bin seit neuestem in Besitz des Dibbern-Porzellans „Black Forrest“, das sich durch Alchemie in den Bereich des Absoluten und zeitlos Schönen hineingeschummelt hat, der ja menschlichen Dingen von Natur aus eiegntlich nicht zugänglich ist.
Deshalb möchte ich nicht davon reden, sondern der gewöhnlichen „schönen Tasse Kaffee“, von der der Bürger spricht – mit einem verschmitzen Gesicht, in dem sich, falls nicht konkret ausgeführt, Händereiben spiegelt, zumindest diebische Freude und Triumph.
Leider gebricht es an der Ausführung. Und erfahrene Kaffeetrinker wissen, dass sie an dieser Stelle, also der Ankündigung der Schönen Tasse, niemals Anschluss suchen dürfen. Sie müssen den Ruf ignorieren ebenso wie man nationalistische Propaganda ignorieren muss, wenn beides auch noch so sehr unsere Instinkte anspricht, wenn ersteres auch noch so sehr das zu meinen scheint, an was wir uns erinnern, nämlich was sich uns dampfend aus manch dickwandiger (gar nicht mal so schöner) Kleintasse, aus caramelfarbenenem heraus Schaum nach einem gelungenen mediterranen Mahl angeboten hat.
Der Satz „Jetzt erstmal ne schöne Tasse Kaffee“ wird, bei Licht besehen, mehrheitlich von korpulenten Frauen in großgeblümten Kleidern gesprochen, die sich behende in der Bedienung dunkelblauer riesiger Filter-Kaffeemaschinen verstehen, zu denen komplizierte Dreh- und Winkelmechanismen, Thermoskannen & Warmhalteautomatiken gehören, alles in allem gute 3 Kilo wabbeliger Plastikschrott. Das Kaffeemehl hat einen deutschen Aufdruck, dieser verspricht Aroma und zeigt einen afrikanischen Baum oder ein zwei Berge und eine Silhouette einer Frau, die schweres trägt.
Das wollen wir nicht, das alles ist nicht schön.
Finger weg!
Oder wie es der liebe mspro soeben schrieb:
„kaffee. nee, echt jetzt“. Da kann man nichts falsch machen.
Verstehe, Sie denken an südlichen Hafen, eine Espressotasse, darin das anregende Verwöhnaroma der von kundiger Hand gerösteten Hochlandbohne bestenfalls, der aber, der von einer schönen Tasse Kaffee spricht, meint auch einen Pappbecher zum Mitnehmen, auf dem Arno und die Morgencrew abgebildet sind und der nur Plörre birgt.
Auch bringen Gäste mal was mit, also Porzellan jetzt, mit Speisen gefüllt, und dann hat man es am Hals, mit all seinen umstrittenen Arabesken und wünscht sich einen Elefanten.
Sie sagen da was: dieser ganze Aufschäumterror, hmm, wie das duftet, ein Biscuit noch auf das Tellerchen – fertig – warmes Licht, der Lichtkegel einer Stehlampe mit Schirm aus reich strukturiertem Papier wäre recht, ein goldgeprägtes Paperback im Schwartenformat und eine kuschelige Decke bereitlegen, die Heizung auf 100, ja, das können sie, die Bürgeramtsmitarbeiterinnen. (Daheim in ihrem Reich, da reicht die Krönung nicht.)