In Genrebildern

Des Nachmittags, als ich mit Schlittschuhen über einen erstarrten Strom glitt, schwebten, dem fliegenden Holländer gleich, Eissegler vorüber, gravitätisch und mucksmäuschenstill, weit hinaus auf die spiegelglatte Eisfläche, gegen die Bruchkante, die Fahrrinne des in der Sonne funkelnden Gestades, von dumpf stampfenden Eisbrechern klirrend in die frostigspröde Oberfläche gesprengt, daran zahlreiche Wasservögel, bald kalorienschonend lagernd, bald unter gellendem Rufe hysterisch auffliegend; Eishockeyspieler in farbenfrohen Anoraks, die dem Puck mit großem Hallo nachjagten, Familien mit Kind und Kegel, ja wohl selbst Oheim und Mume in Lammfellpelze gemummelt, die auf Schlittschuhen ihre Kreise zogen, daß es nur so eine Art hatte; Hunde, diese wuscheligen Räuber, die wie toll umhersprangen und um Bodenhaftung rangen, daß den Besitzern die Heiterkeit, ob des drolligen Unvermögens ihrer Dreckstölen, in die Gesichter geschrieben stand und oben – droben – über allem flashte ein überkrasser 32-Bit-Farbverlauf, der alle Register zog und der Grunewaldturm trotzte, in köstlich güldene Valeurs später Sonne getaucht, dem scharfen Nord-Nordost, der unerbittlich blies, daß die pausbäckigen Gesichter der Bürger rot erglühten. Als ich nun, im Laufe begriffen, mit blutendem Herzen, meinen Blick von diesem reichen Bilde riss, gen Boden blickte, zu den Spuren im Eis, dieser grazil geschwungenen Kufenschrift, die ja bekanntlich vergänglich ist, wie das Leben und die Liebe, gewahrte ich, im Eise eingebettet, als handele es sich um Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarge, einen gewellten Zettel aus Büttenpapier, darauf stand mit vollendet schöner Sütterlinschrift geschrieben: Wer das liest, befindet sich tatsächlich in einem Gemälde, einem Gemälde allerdings von Thomas Kinkade, oder doch eher von Carl Spitzweg? Keine Ahnung, vielleicht ein Carl-Spitzweg-Thomas-Kinkade-Mashup oder so. Allerdings ragte nicht die pittoreske Turmsilhouette einer gotischen Stiftskirche in den abendlichen Nebelglast, die Frauen trugen keine Muffs und auch kein scheues Rehlein stakste langbeinig auf eine überirdisch erleuchtete Lichtung um sein verficktes Bambinäschen in den Abendwind zu recken. Diese Dinge fehlten also. Trotzdem wurde der Sonnenuntergang von Hobbyfotografen vielfach angeblitzt, die Situation gefiel – auch mir (ohne Fotoapparat und Fotografierambitionen). Würde es sich um ein Bild von Thomas Kinkade handeln, kringelte der Bildungsbürger alles rot an und schriebe Kitsch an den Rand. Befindet er sich jedoch real in einer Thomas-Kinkade-Situation, so behagt es ihm, er denkt, hallo, wie geil ist das denn, und das Leben dünkt lebenswert. Thomas Kinkade war mir übrigens neu – ich wurde darauf hingewiesen. Als ich die Bilder zum ersten Mal sah, im Internet, fiel bei mir der Blutdruck muss ich sagen. Ach du grüne Neune, entfuhr es mir, das ist ja der letzte Scheißdreck!

Nun behaupte ich aber, es gibt keinen rational begründbaren Qualtätsunterschied zwischen der Malerei der Romantik beispielsweise und den Machwerken von Thomas Kinkade, mal abgesehen von der Tatsache, daß sich William Turner zu Thomas Kinkade verhält wie die Beatles zu Oasis. Nun könnte man behaupten, die Produkte Kinkades werden in Fabriken produziert, hinter ihnen stehe also das Streben nach Gewinn, nicht jedoch Empfindsamkeit oder eine künstlerische Aussage. Dem muss ich entgegenhalten, daß die Bilder Rembrandts, mit denen die Wände der namhaftesten Museen gepflastert sind, in nicht unerheblicher Menge von Assistenten produziert wurden. Rembrandt war quasi ein früher Markenname, wie es heute Coca-Cola und Gucci sind, die Produktion erfolgte arbeitsteilig; nichts anderes macht dieser Kinkade, der ja zudem ein Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts ist, einer Epoche in der die maschinelle Duplizierung und Erstellung von Bildern längst anerkannter Standard ist.
Nun ja, man könnte ferner behaupten, diese Bilder seien ja nun inhaltlich und formal wirklich etwas over the top. Das muß so sein, sage ich, das Biedermeierliche muss heute biedermeierlicher sein, als noch zu Spitzwegs Zeiten, um überhaupt eine Anmutung von Biedermeier zu erzeugen, es liegt an Auschwitz vielleicht, und an der Tatsache, daß Süchtige, Glukosejunkies in diesem Fall, bekanntlich die Dosis immer mehr erhöhen müssen; das Proletariat also, das sich diese Kinkadeprodukte kauft, als Soma, als Flucht aus der Welt in paradiesische Parallelwelten, die sich mehr oder weniger subtil, mehr oder weniger unverhohlen alle Menschen wünschen – wenn auch in der Geschmacksrichtung Steampunk oder mit brennenden Mülltonnen.
Ich fasse zusammen: es gibt keinen rational begründbaren Qualitätsunterschied zwischen diesem Kinkade-Trash und den Hochkultur-Ölschinken in den Museen. Subjektiv finde ich natürlich, daß Jan Vermeer oder Caspar David Friedrich beispielsweise die krasseren Maler sind, mit derberen Skills, die Sujets sind aber durchaus sehr ähnlich und auch die Werke Caspar David Friedrichs, bildeten, schon zu seiner Zeit nicht, die, seine Zeit prägende gesellschaftliche Umwälzung (Industrialisierung) ab, bestenfalls als gegenläufige visuelle Überreaktion. Die Trennung zwischen Kitsch und Kunst, zwischen Scheiße und Ästhetik ist eine stille und unbegründbare – wie ich behaupte – Übereinkunft, der in Bürgerhäusern sozialisierten und denen, die auf die heiligen Werte der Hochkultur in Kunsthochschulen und Leistungskursen gedrillt wurden.

So ein Kinkadepuzzle wäre, in einen neutralen, einen weißen Karton verpackt, der also keine Rückschlüsse auf seinen Inhalt zulässt, ein recht gutes Geschenk – eine Art Gleichnis für einen Beschenkten mit Humor: Je mehr die Lösung eines Problems voranschreitet, desto deutlicher wird das Grauen der Eindeutigkeit.



11. Januar 2009