Neues aus den Ostgebieten

Plötzlich erscheinen drei Menschen und packen einen älteren Mann recht barsch am Arm. Wahrscheinlich habe ich aber nur nicht so richtig hingesehen zunächst, da ich, an einer S-Bahnstation wartend, etwa Schwalbensilhouetten am Abendhimmel beobachtete oder auf den Po eines vorbeigehenden Mädchens blickte. Er möge sich ausweisen sagt der das Trio wohl leitende und das Wort führende Mann und zeigt seinerseits nachlässig eine Ausweiskarte vor auf Hüfthöhe, die ihn mutmaßlich nach außen als Zivilfahnder bezeichnet. Das Ziel des Zugriffs ist ein kleiner Mann mit schiefgelaufenen Schuhen, gelbgrau zurechtpomadiertem Haupthaar und einer braunmelierten Hornbrille, dem man nun wortlos die Umhängetasche von den Schultern zerrt und den Inhalt rasch auf den staubigen Boden des Bahnsteigs entleert. Dabei mit spitzen Fingern ganz gewöhnliche Dinge, wie eine Brille, einen Schlüsselbund, leere Bierflaschen oder eine Zeitung, mit einer, für mich als Beobachter ungeheuerlichen, Na-was-haben-wir-denn-da-Miene anhebend, als müsse sich der Besitzer dafür rechtfertigen, was dieser jedoch leider auch macht. Man handele aufgrund eines Anrufes, verschiedener Hinweise aus dem Volk, erläutert der leitende Fahnder, man habe ihn, den Mann mit der Umhängetasche, beobachtet, wohl hinter der Gardine stehend, denke ich, wie er Bierflaschen austrank, wie er dann im Gras lag, am Bahndamm, unweit der Kanalbrücke und schlief, in der Sonne, anschließend auf dem Bürgersteig auf und ab ging, hatten Bürger ihre Beobachtungen der Polizei geschildert, so der Fahnder. Es sei ein Verdachtsmoment entstanden, da und da abgestellte Kraftfahrzeuge betreffend, so der Fahnder zu dem vermeintlich Verdächtigen, der aufgehalten wird, dessen Habe auf dem Boden verstreut liegt, der harmlos ist, wie ich denke und wie ich weiter denke handelt es sich nicht einmal um einen Anfangsverdacht, der eine Taschenkontrolle überhaupt rechtfertigen würde, sind doch Bier trinken, schlafen, auf und abgehen übliche Beschäftigungen von Menschen somit mitnichten justiziabel im Sinne einer gesetzlichen Ordnung jenseits von Kaiser Wilhelm, Adolf Hitler und Erich Honecker. Daß ich plötzlich in eine Situation geworfen werde, denke ich, die die eines Voyeurs ist, der durch den Spion seiner Türe beobachtet, wie Schergen in Ledermänteln und Reitstiefeln bei einer anderen Mietpartei grimmig schellen um exekutiv tätig zu werden. Und wie das Trio Eindruck schindend und sich in die Brust werfend dasteht, den vermeintlich Verdächtigen bedrängt, der nicht daran denkt Widerstand zu leisten, alle an ihn gerichteten Fragen, eingeschüchtert, wie ein Untertan, der er ja offensichtlich auch ist, beantwortet, obwohl er sie nicht beantworten müsste, wie mir gewiss ist. Es ist ein Unrecht das geschieht, ich handle nicht, auch weil meine Bahn einfährt, wie ich mir später, als fadenscheinige Entschuldigung vor mir selbst zurechtlege. Die Situation gemahnt an eine Jagdszene von kleineren Raubtieren, die ein ihren Kräften gemäßes Opfer ausbaldowerten, Frettchen etwa, die eine flügellahme Amsel gestellt haben, sich in der Überzahl wissend, ferner wissend, daß das Opfer ein geschwächtes ist, somit nicht aufflattern kann beispielsweise oder fortspringen, und dennoch ohne Unterlass sichernde und schele Seitenblicke werfend, während sie ihre hektischen Zähnchen in das Fleisch schlagen, ob nicht ein größeres, einen in der Nahrungskette übergeordneten Rang bekleidendes, Raubtier erscheint und sich die bestehenden Kräfteverhältnisse ungünstig entwickeln. Und alle tragen Kapuzenshirts, wie in diesen Reportagen im Privatfernsehen, das aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmende Menschen vornehmlich mit diesem sportiven Kleidungsstück angetan abbildet: das Kapuzenshirt ist quasi der Rokokopantoffel des 21. Jahrhunderts. Mit Drogenproblemen behaftete Problemjugendliche aus Problemkiezen mit Problemhunden sowie auf Problemjugendliche kaprizierte Geheimpolizisten, Leistungssportler, Kleingärtner, Raver und Geländewagenfahrer aus Westend. Die Situationen, in denen sich die Menschen in sozialer Interaktion befinden, sind stets stereotyp und lassen sich meist auf einige wenige triebbedingte Säugetiermechanismen reduzieren, wie beispielsweise dominante Revierverteidigung und körperlich oder geistig ausgetragener Kampf um die Weibchen mit den besten Erbanlagen. Fraglich ist, ob die äußeren Formen der Klischees aus der Realität in den Fernseher wandern, oder ob die Klischees dort entstehen und in die Gesellschaft ausgestrahlt werden, wie diese Fernsehseriendialoge, die in meinem Rücken, in den Schlangen vor den Supermarktkassen geführt werden, von Menschen, die ihr Leben bei Schweinefleisch und Colamischgetränken in zitronenfaltergelb gestrichenen Blähbetonsteinhäusern in Toskanaoptik fristen.



15. April 2009