Herr No wird sich zu Stein am Rhein vorerst nicht äussern

Es ist gleichsam ein kulturgeschichtliches Terrarium, dieses Gebäude an einem Unort, ein potemkinsches Alpendorf unter einem Glassturz. Gastronomische Betriebe, die einen künstlichen Dorfplatz säumen, vor denen Stühle stehen, gleichzeitig drinnen wie draussen, für die Fremden. Romantische Geschäfte in denen urige Agrargüter angeboten werden, wie Schinken, der pittoresk von der Tramdecke baumelt und Wein, Pizza, Espresso, aber auch Benzin, Kaugummis, Almdudler solche Waren eben. Schaurig stier blickende Bauernpuppen stehen hinter den Fenstern der Obergeschosse ohne Tiefe, Geranien aus Kunststoff, falsches Kamingeflacker, Sensen, Heuballen und zahlreiche weitere Requisiten dieser Art. Als ich die Treppe hinabsteige, zu den Toiletten, eröffnet sich vor mir eine weite aber niedrige Halle, ähnlich wie in einem Bunker vielleicht, senffarben gestrichener Beton und verschiedene Metalltüren in unterschiedlichen Bunttönen, ein Leitsystem wohl, das mich nicht leitet. Schräg vor mir geht eine kleine Frau mit einem schweren Hüftschaden die Treppe hinunter und mit jedem Schritt wogt ihr Leiden durch den ganzen Körper. Ich möchte jetzt nicht behaupten, daß ihr behinderter Leib lange Schatten auf die Betonwand warf, aber so ähnlich. Ein österreichischer Keller, der sich schnaufend und schnell schließende Schiebetüren aus Stahl erahnen lässt und Videoaugen und andere krasse Psychoscheiße. Eine lange Flucht von Toiletten, wohl bald an zwanzig Einzelkabinen zur Defäkation, vis-à-vis eine Wand aus Spiegeln und alle weiteren Flächen sind mit anthrazitfarbenem Naturstein verkleidet, der die wohl überreichlich vorhandenen Innereien aus Steuer- und Regeltechnik gegenüber dem Menschen abschließt. Nach dem Hände waschen ist der Gast gehalten seine noch tropfnassen Hände in eine der schwarzen Mösen aus Plastik einzuführen, die in die Wand eingelassen sind und in denen es bei Annäherung erheblich zischt und braust; Glory Holes mit direktem Zugang zur Hölle, tatsächlich negative Hochdruckreiniger also Sauger, die auch auf Antimaterie und Orgonenergie basieren mutmaßlich. Vorher, an einem anderen Ort, las ich mir ein Schild über Pilzrecht durch und verzehrte zeitgleich ein Sahneeis am Stiel, welches von einem tropischen Fruchtsorbet ummantelt war, dabei lachte ohne Unterlass die Sonne und droben am Berg kalbte die Pasterze. Später, hinter den Tunnels und Pässen wuschelten die Bäume hinter den Lärmschutzwänden ihre Kronen wie Cheerleader ihre Pompondinger, also hysterisch und etwas aufreizend und der Himmel verfärbte sich in einer Weise tintig schwarz, die als Indiz aufgefasst werden konnte; ferner lagen einige Seen ganz selbstverständlich in die Topografie eingebettet vor, wie Laubsägearbeiten in glühender Bronze, da zudem die Nacht hereinbrach und so die späten Strahlen in spitzem Winkel reflektiert wurden. Sand in der Luft, Alpensand, ein feiner Grieß im Auge, den der Westwind dorthin plazierte; auch ein Plastiksackerl aus Polypropylen war zu beobachten, das sich zunächst gravitätisch tänzelnd emporschraubte, dort mit einem knispligen Plopp entfaltet und mit Aplomb aufgebläht wurde um rasante Fahrt durch die Lüfte aufzunehmen, begleitet von Ästen, Blättern und Papieren, die die Passanten fortwarfen. Ein Unwetter also, mit Toten und Verletzten und Sachschäden in Millionenhöhe. Schließlich ein Fall für die Versicherungen und Rückversicherungen. (Natürlich waren auch taubeneigroße Hagelkörner an der gespenstischen Szenerie beteiligt.) Ich besichtigte zuvor ein Haus in höchsten Höhen, da ich ein Haus zu kaufen beabsichtige; ein Anwesen, das ich einer Mischnutzung aus adalbertstifterscher Bergidylle und grimmiger Alpenfestung zuzuführen gedenke; von dem ich nicht zur Schwarzwildjagd ausreiten werde, wie es früher der Hammerherr tat, noch werde ich eine Frau zum Weib nehmen, die des Jodelns mächtig ist. Reichte man mir zum Vertragsabschluss ausgelassen ein Glas Schaumwein, tränke ich die Flöte nur aus Gründen der Etikette leer, da ich mir nichts aus moussierenden Weinen mache, wie Sie wissen müssen. So ist es mein. Im Fernseher wird gezeigt, wie die Polizei mit unbekannten Leichen verfährt; sie nimmt die leblosen Leiber mit in ihre unterirdischen Polizeilaboratorien, schneidet sie mit Messern auf und dann finden Wissenschaftler heraus, welche Umweltgifte in den Innereien der Opfer vorliegen, die bleihaltigen Antiklopfmittel aus Kraftstoffen seien ein Anhaltspunkt, wie man sagt. Es handelt sich um die und die Chemikalie, also kommt das Opfer da und da her, meist aus dem Ausland oder aus Russland, wie der Beitrag durchblicken lässt. Die Liegenschaft wird byronisch bewirtschaftet werden, man wird am Flügel stehend Kunstlieder singen und im von Stirnlampen durchschnittenen Morgennebel die mit Unschlitt eingeriebenen Wanderstiefel aus Kernleder binden um verbliebene alpine Probleme zu lösen. Wäre ich Schriftsteller, schriebe ich hier zwei bis drei Jahrhundertromane, würde aber bei der Arbeit manchmal schludern und oft dösend aus dem Fenster blicken zu den Gipfelkreuzen hinauf und dem sattgrünen Tann im Tale oder einfach Playstation zocken. Post Mortem führte man literaturbeflissene Touristen durch das Objekt – in Pantoffeln. Und eine lispelnde lesbische Literaturwissenschaftlerin, die sich durch derlei Führungen einen schmalen Salär verdiente, herrschte zierliche Japanerinnen an, die den Versuch wagten, mit den kleinen Fingerchen heimlich über die schartige Oberfläche des wuchtigen und ungemein charaktervollen Schreibtisches aus geflammter Eiche zu streichen.



1. Juli 2009