Die Tochter des Trafikanten

Weltliches, wie etwa architektonische oder forstwirtschaftliche Fragen, buhlt mit aller Macht um Beachtung; so wird wenigstens ein wenig verständlich, wieso bereits die Vorstudien zu Die Tochter des Trafikanten und Zuhubenbauern, meinem designierten Opus Magnum, schleppend verlaufen, eigentlich sogar darniederliegen um es frank zu sagen.

Ich befinde mich im Kaminzimmer meines Berghofes und betrachte eine makellose Zitrone, die verblüffenderweise bereits mindestens zwei Monate alt ist, jedoch den den Zitrusfrüchten eigenen charakteristisch ätherischen, gleichfalls fruchtigen Odem des Welschlandes verströmt und von festem Fleische sowie unversehrter Hülle ist, wobei die anderen Früchte, die in dem aus gelben Kunststofffäden gewirkten Netze enthalten waren, recht bald erste untrügliche Anzeichen von Schimmel und innerer Fäule ansetzten. In dieser einen, dem Verfall trotzenden Zitrone, lässt sich das Geheimnis des ewigen Lebens vermuten. Amerikanische Wissenschaftler könnten aus ihr mutmaßlich einen hochpotenten Wirkstoff extrahieren und mit dem Wissen um seine Formel endlich die Weltherrschaft erringen. Nun wird es wohl neun Uhr durch sein, die winzigen warmweiß erleuchteten Fenster des Einödhöfes am jenseitigen Bergrücken verlöschen. Da teile ich die Methusalemzitrone und lasse die eine Hälfte ihres tadellos perlenden Saftes in ein mit Eiswürfeln angefülltes und anfänglich mit Absinth gespültes Collinsglas rinnen, füge ein gerüttelt Maß Demerararum hinzu, sowie ferner Almdudler, etwas St. Germain und zwei Tropfen Enzian der Marke Grassl; schließlich genieße ich das Getränk – dessen Glasrand sonst traditionell mit einer Zitruszeste und einem Zweiglein gefleckten Knabenkrautes (bevorzugt Dactylorhiza fuchsii) dekoriert wird – in kleinen wonnevollen Schlucken.

Wenngleich die Nächte in diesen Höhen im Juni oft noch empfindlich kalt sind (auch die Gipfel von schütterem Neuschnee bestäubt sind) und man folglich gut daran tut die Öfen zu unterhalten, ist diese Nacht mild und vor den Fenstern des Haupthauses tummeln sich über 9000 Fluginsekten, die vom Lichte angezogen Einlass begehren, so lösche ich die Leuchten im Inneren, daß alles in Finsternis gehüllt liegt und trete hinaus auf die Terrasse hinter deren Balustrade der Abgrund gähnt. Da wölbt sich am klaren Gestirn unendlich funkelnde galaktische Materie. Bald hier, bald dort stürzen Meteorite jäh herab und verglühen in den grünweißen Valeurs brennenden Kupfers. Satelliten ziehen ihrer Bestimmung eigene eliptische Bahnen und zunächst, in der Troposphäre, überqueren Passagiermaschinen plangemäß den Alpenhauptkamm gen Samarkand oder werden, wohl weit wahrscheinlicher, in Laibach landen. Aus der Kühle des Erlengebüsches beim Wildbache, wo bei Vollmond anthrazitfarbene Hirsche an das naturgemäß ungestüme Nass zum Trunke herantreten, spült die Nacht pulsierende Schwärme von Glühwürmchen (Lampyridae, hier: Lampyris noctiluca) hinauf, daß allenthalben ein Leuchten ist, daß also endlich eine vollkommene Konvergenz eintritt aus oben und unten, aus biochemisch belebtem Chitingelicht und dem schweigsamen Glanz der Galaxien, aus nah und fern, aus groß und klein.

Doch hört, da – und da, es peitschen Schüsse durch den Hochwald – – Jäger! Wie sich denken lässt, wird nun im Schein von Taschenlampen dem toten Tiere das Gekröse aus dem aufgebrochenem Leib gerissen um es fortzuwerfen und der Kadaver taucht später, in denaturierter Form auf einem gedeckten Tisch als ein Wildbret (flankiert von Preisselbeergelee) wieder auf und wird von großen Mündern, wie sie standardgemäß in pyknische Physiognomien eingelassen sind, verzehrt, verdaut und ausgeschieden – nunmehr ein Fall für die kommunale Abwasserwirtschaft. Dabei ist es für mich stets so erquicklich, das zierliche Rotwild – von erhöhter Warte etwa – zu beobachten, wie es langbeinig und mit großer Eleganz durch das amorphe Astgewirr einer Windwurffläche stolziert. Just diesen Grazien stellen auch jene Jägerinnen mit diabolischer Vorliebe nach, die mir bei meinen Gängen schon oft begegneten und bei denen es sich ausnahmslos um verwachsene, vollkommen verrohte Vetteln handelt, deren alleinige Motivation den heimischen Herd ihres Hexenhauses zu verlassen, zweifelsfrei der pathologische Hass auf die Anmut der Anderen ist. Die Jagd ist ein Ventil. Bei sich abzeichnenden innerfamiliären Konflikten setzt sich der normale Österreicher in seinen Geländewagen und erschießt im taubenetzten Tann eine Rehfamilie und kann derart geläutert (und nachdem er sich die Hände mit einer aus Rehfett hergestellten Seife gewaschen hat bis sie bluten) wieder den Seinigen gegenübertreten. Hätte der umstrittene Politiker (und Aquarellmaler) Adolf Hitler im Waidwerk seine Erfüllung gefunden, also Komplexe und Ängste die ihn bedrückten, an der Rotwildpopulation seines Heimatgaues abgearbeitet, wären dem Osten und natürlich dem deutschen Reich selbst einige der größten Widrigkeiten erspart geblieben möchte man meinen.



16. Juli 2011