Ponta Delgada

Klares, vorzüglichstes Wetter bei weitgehend ruhiger See und Sonnenschein. Von Zeit zu Zeit blitzt ein gleißendes Licht auf am Horizont; ich stelle mir vor, es handelt sich um eine gläserne Tür, die Drehtür einer Bank etwa am Vormittag eines Werktages. In großer Höhe überholt uns Backbord ein Flugzeug, das an gleicher Stelle wie die erwähnte Reflexerscheinung zunächst zu einem Punkt skaliert wird und dann mit dem Horizont verschmilzt. Ein Gelbschnabel-Sturmtaucher zeigt sich bei der Jagd, später mehr, größere schwimmende Gruppen, die sich um Fischfragmente balgen oder ihr Gefieder pflegen, nun untrügliches Indiz für die Nähe zum Festland. Wir erreichen den Hafen von Ponta Delgada. Landgang! Leichter Kopfschmerz, da der Vestibularapparat irritiert ist von dem ungewohnt nichtkrängendem Untergrund; Beschwerdefreiheit stellt sich nach gut einer halben Stunde ein.

Ich trinke in einer Hafenbar einen Espresso, der riecht wie das Polster eines alten Rauchertaxis. Musik: Lady Gaga. Fahrt mit dem Omnibus ins Hinterland. Ausser mir, als einziger Fahrgast eine faltige, apathische Frau in schwarzem Kleid und schwarzer Strickjacke. In das ebenfalls schwarze Kopftuch der Alten sind arabeskenhaft verschlungene scharlachrote Rosen eingewebt. Oberhalb der Frontscheibe, zu Häupten des Fahrers, auf einem schmalen Absatz ist eine Sammlung von klerikalen Kunststofffiguren befestigt, wohl geschraubt, womöglich geklebt. Namentlich Marienfiguren sowie ein Jesus, der bei der kurvenreichen Fahrt durch das üppig grüne Bergland mit dem Kopfe wackelt, wie es in Deutschland diese mechanischen Dackel auf den Hutablagen taten.

Der Bus hält in der Mitte eines palmengesäumten, menschenleeren Dorfplatzes, ich steige aus, kein Geschäft, keine Bar, alle Fenster mit Fensterläden verschlossen oder gar vernagelt. Bei meinem Aufstieg ist das urwaldartige, weglose Grün von einem Gebilde aus Nirostarohren durchzogen, das, wie ich später sehe, eine Ananasplantage mit Wasser versorgt. Die Luft ist dampfig, fast tropisch, weiter oben klar und frisch.

Etwas unterhalb des begrünten Kraterrandes lasse ich mich zwischen Hortensienbüschen windgeschützt mit meinem Lichtenberg nieder und lese. Irgendwann sinkt mein Kopf ins Gras und ich beobachte ein Azorenhoch beim Entstehen.

Ich muss wohl eingenickt sein, da ich erschreckt hochfahre, als es im Gebüsch geschäftig raschelt, ein vielnasiges Schnaufen vernehmlich wird und auf einem schmalen Steig plötzlich vier struppige Hunde erscheinen, die, meiner angesichtig werdend, sogleich das charakteristisch offensive Drohverhalten des Caniden an den Tag legen. Mutmaßlich handelt es sich um verwilderte Hütehunde, die Blut geleckt haben. Als einer der Hunde, offensichtlich das Alphatier dieses Rudels, Miene macht einen Ausfall gegen mich zu wagen, als bei einer hastigen, vorstoßenden Kopfbewegung ein schleimiggelblicher, von weißen Bläschen durchsetzter Speichelfaden von der linken Lefze des Tieres gegen mein rechtes Hosenbein geschleudert wird und dort haften bleibt und die Tiere merklich an Gebiet gewinnen, schwant mir, daß die Situation zu meinen Ungunsten zu entgleiten droht. Schließlich muss ich mich, gerade rechtzeitig, wie sich herausstellt, meiner Welrod bedienen um dem tollen Spuk ein Ende zu bereiten. Ich erwische den Burschen im Sprung, die anderen drei geben Fersengeld. Selten, dann aber zuverlässig, ist mir diese, namentlich durch Ablängen des Laufes zur Reisewaffe umfunktionierte Welrod zu Diensten. Das Wadenholster, in dem ich die Waffe auf Reisen mitführe, kaufte ich einst bei einem Sattler in Rottleben am Fuße des Kyffhäusers.

Schon kreist eine Gruppe von Mäusebussarden über mir, die die ornithologisch minderbeschlagenen Portugiesen bekanntlich seinerzeit fälschlicherweise für Habichte hielten.

Der Bus, der zurück zur Küste fährt, füllt sich diesmal sehr. Alle paar Kilometer steigen einzelne oder kleine Grüppchen von Jugendlichen zu, die Surfbretter mit sich führen. Ich frage mich wo sie herkommen, da nur Urwald zu erkennen ist, jedoch keine Häuser. Es wird gescherzt und gelärmt, man gibt sich amerikanisch. Auch einige Mädchen in Bikinis und Flipflops sind darunter. Bei der Fahrt immer wieder schöne Ausblicke zum Meer, das ruhig und sonnenbeschienen liegt.

Wie mir an Bord berichtet wird, wurden Büromaschinen und Lindenblütenhonig gelöscht. Es ist eine sternklare Nacht und der Mond nimmt ab. In einem Haus an der jenseitigen Hafenseite übt eine Frau zunächst Koloraturen und singt schließlich, nahezu vollendet moduliert, die berühmte Arie Addio del passato aus La Traviata.



11. März 2012