Hightatras

Der Jahreswechsel

Mal kurz zum chillen auf das Canapée gelegt mit einem leinengebundenen Buche und prompt eingeschlafen. Erst erwacht als hektische Blitzlichter das schummrige Interieur in mannigfaltigste Bunttöne tauchten und ferner ein anschwellend gutturales Grollen vernehmlich wurde. Aha, ganz klar, draussen wird ein Feuerwerk durchgeführt. Die Zeiger der Uhr schon nach 12.
Die Devise lautet: In 2008 unbedingt noch mehr onkelhaften Biedermeierscheiß hier reinschreiben. Because i can.

Mischkonsum und Fernsehen

Haha. Der Fahrstuhl schickt sich an, ohne Fahrgäste abzufahren, da diese stumpfsinnig vor der falschen Schiebetüre ausharren. Ausser mir ein älterer homosexueller Herr,mit freundlichen Augen und einer gefütterten Lederjacke in Antikoptik, der einen kraushaarig mittelformatigen Hund an der Leine führt. Er trägt eine kleine Handtasche aus Jeansstoff bei sich, die wohl Spielbälle und andere Wurfutensilien enthält, die das Tier im Ausagieren seines Bewegungsdranges unterstützen sollen. Auf die Deckklappe des selbstgenäht wirkenden Futterals ist ein Aufnäher in rot und silber appliziert; ein munter japsender, die Zunge kregel heraushängen lassender Hundekopf im Halbprofil. Der Hund nutzt die intime Situation in der Fahrgastzelle um den schweißgesottenen Aufschlag meiner Sporthose zu beschnüffeln. Ich so: Ja, ist ja nicht schlecht hier so direkt am Grunewald – speziell für den Hund. Vierte Etage: man muß dem Mitreisenden schließlich auch noch genügend Gelegenheit bieten etwas hinreichend Affirmatives zu erwidern. Mein Nachbar hat sich kürzlich eine Schlafbrille gekauft, da ihm selbst die spärliche Sonneneinstrahlung dieser kurzen Tage den Schlaf raubt. Er verbringt seine Nächte jetzt bei Kunstlicht hinter einer Scheibe aus Panzerglas und legt den Besuchern eines Spielcasinos die zum Glücksspiel erforderlichen Jetons in eine horizontal bewegliche Schublade aus Metall.

X34

Sie so: Omma ist ja auch viel schlanker als wie beim letzten mal. Er so: Joo… liegt aber vielleicht auch an ihre Darmgeschichte. Sie so: Na, die ist schon fit!. Er so (zögerlich): Jaja klar … fit isse. Und weist nach Momenten des Schweigens seine Partnerin lächelnd auf ein kleines qualmendes Automobil der Marke Trabant hin. Mit dem Ellenbogen. Reckt wenig später, sich abrupt auf der Sitzbank wendend, den Zeigefinger deutend in die Höhe, da dort eine, die Schnellstraße überspannende, Lichtertafel vorbeizuhuschen droht, welche üblicherweise Auskunft über die innerstädtische Verkehrslage gibt, nun aber ein simpel animiertes, stark stilisiertes Weihnachtsmotiv vorstellt. Aus der Drehung heraus schnellt ein sportiver Herrenhalbschuh in den Mittelgang des Omnibusses und der Blick des Betrachters fällt auf erbspüreefarbene Söckchen, die gestreng in bleich dunkelbehaarte Waden einschneiden.

Schlachtensee

Erstes mürbes Eis auf den Seen. Menschen und ihre agilen Hunde. Domestizierte Wildnis, die sich von der loyalen Seite zeigt. En passant bürgerliche Satzfetzen, gemeinsame Lebensplanung oder den Dienst betreffend. Schlafen, Lesen und Müßiggang. Ein Krähenschwarm vor grauem Himmel, der durchwirkt ist von späten und vereinzelten fahlgelben Sonnenfasern. Eine gute Schule: die unbedingt noch zu verfeinernde Kommunikationstechnik, komplexe Bilder und Stimmungslagen in 160 Zeichen zu formulieren — auch trunken. Der Weg des SMS schreibens. Zungenküsse, Subprimekrise, erhabene Leere und Istigkeit.

Die Früchte eines aggressiven Portfolios

Breitcord, Cashmere, Maserati Concept Cars, Lounge Chairs von Eames und geflammtes Nußbaumholz, bitteschön: mein Haus, mein Boot. Die Schläfen werden grau und ich fokussiere mich zunehmend auf die Perfektionierung meines Golfabschlags. Genieße in kultivierter Gesellschaft (internationaler Jetset) einen trockenen Martini auf meiner Dachterrasse über dem Luganer See und trage dabei legere Wildlederslipper sowie eine geschmackvolle Armbanduhr von Patek Philippe. Als letzter Sproß einer Hochbegabtenfamilie verzehre ich das Vermögen mit Müßiggang und schreibe unter klangvollem Pseudonym gelegentlich romantische Liebesromane, die die Frauen verschlingen.

Die Apokalypse kündigt sich heuer durch zwei Zebrafinken an

Jesus ist unsere Zukunft, ruft eine Frau schon von Ferne, während sie auf dem nassen Laub mit dem Fahrrad einhändig lenkend, auf mich zuschlingert. Sie trägt selbgestrickten Schal, Mütze, Handschuhe und Stulpen aus rosa Glitzerwolle und streckt mir einen kleinen Kalender für 2008 entgegen — offenbar als Geschenk. Übrigens in jeder Hinsicht, sagt sie, entweder als Erlöser oder aber als Zerstörer, und ihre unsteten Augen glänzen und strahlen in reinstem bleu obwohl sie scheinbar Mitglied einer ulkigen Endzeitsekte ist. Ich so (in Gedanken), aha, dieser Jesus ist also so ein Typ wie Rambo, nämlich Märtyrer und Vollstrecker in einer Person. Durchaus ein neuer Aspekt für mich. Danke für die Info! Kontrapunktisches Element der Situation ist nun aber der mir angediente Kalender. Zeigt doch das Deckblatt zwei einträchtig auf einem Zweige in der Sonne sitzende Zebrafinken, welche die Schnäbelein in zärtlichster Innigkeit aneinander reiben. Stunden später fällt es mir wie Schuppen von den Augen, es handelt sich natürlich um ein Symbolbild: der eine Vogel heißt Erlösung, der andere Zerstörung, die zu überwindende Dualität materialisiert sich in den Körpern zweier verschmelzender Zebrafinken. Auf deutsch gesagt: der Heiland hat einfach keinen Bock mehr bei seinem nächsten Erscheinen auf diesem Planeten wieder Bart und Sandalen zu tragen.

Ausverkauf

Seit langem mal wieder die Schwelle eines Buchladens überschritten. Ein schmalbrüstiges Sortiment und Feng-Shui-Desaster aus Paletten, Grabbeltischen und Harry Potter bis zur Decke von der ein unsichtbares Damoklesschwert baumelt, ein Hattori Hanzō in dessen Klinge das Wort Amazon graviert ist. Kein einziges Buch, dessen Erscheinungsdatum länger als zweidrei Jahre zurückliegt, schäbige Verschenkbücher und pastellgeblümtgoldgeprägter bestselling Paperbacktrash. Ich will aber auch Filzer in schwarz und dunkelgrau eigentlich.

Fußbodenpflege auf Abwegen

Also dieses neue Pflegemittel, mit dem heute im Morgengrauen der Linoleumfußboden vor meiner Türe behandelt wurde, sagt mir ja gar nicht zu. Der penetrante Geruch des Wischwasserzusatzes waberte schwer unter der Türritze herein und ließ mich aus dem Schlafe hochschrecken. So stelle ich mir in etwa die Situation von Konrad Adenauers Sekretärin vor, die den ganzen Tag den schweren, leichenhaft süßlichen und öligen Altmännermoschusdunst einer sehr speziellen Haarpomade inhalieren musste. Kann man lüften, ist egal, das setzt sich wohl filmartig auf dem Mobiliar und in den Lungenkapillaren fest wie Friteusenfett.

Ein umgestülpter Regenschirm

Der Wind wirbelt Blätter, Folienfetzen und aus den Briefkästen fortgerissene Prospekte hinauf in die turbulente Luft zu einem rauhen Konus aus Murks durch den der Sprühregen stiebt. Ein Hund von kleiner Statur sitzt draussen vor der Scheibe, bibbernd, angeleint und dabei still ergeben, wie es sich wohl für einen Gesellschaftshund geziemt. Se ham ja noch Sturm angesacht für heute, sagt eine Frau, die ein Suppengrün hat und Teltower Rübchen. Zu ihr aufblickend, wendet die Kassiererin suchend eine eingeschweißte Ware, hinter deren Haut aus Kunststoff ein Vakuum herrscht, dabei fährt zufällig ein roter Strahl über ihr Gesicht, huscht über die Falte neben Mund und Nase, die gütigen Augen, die umwelkt sind von weicher Haut und verliert sich über ihrem schwindenden Haaransatz von künstlicher Tönung. Unjemütlisch, viel Reejen biszum Wochenende hamse jesaacht, sagt sie und nennt zugleich eine Summe. Sie blickt gleichmütig durch die Scheibe in das Grau, als die Frau nach Münzen sucht, bar ihrer Brille einige zur Auswahl auf die vorgestreckte Handfläche schüttet. Oder graurote Männer, die an der Kasse einen polternden Sparwitz machen und um Anerkennung heischend hastig den Hals lang machen, nach anderen Menschen in der Schlange, die mit ihnen lachen oder wenigstens den Blick nicht abwenden. Triefäugig blinzelnd, mit senffarbenen Regenjacken bekleidet, die leise rascheln.

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Wanzensekret

Vorhin, als ich im grauen Nieselregen, auf dem Weg in den Supermarkt, eine triste Grünanlage durchquerte, fiel eine Wanze wohl von einem der kahlen Äste herab und fand, von mir unbemerkt, Halt an meinem linken Hosenbein. Als ich später den Fremdkörper an meinem Bein halb bemerkte und ihn in Gedanken reflexartig mit der Hand abstreifte, purzelte das Tier zunächst auf den Boden, rappelte sich jedoch geschwind auf und taumelte, die Flügelchen entfaltend, in ein finsteres Gebüsch. An meinen Fingern haftete nun ein ein recht penetranter Gestank, der auch nach gründlichem Händewaschen nur einen Deut nachließ. Allerdings gewinnt der Geruch mit der Verdünnung merklich. Wäre ich Duftdesigner, so inspirierte mich das, meinen gen Nase geführten Fingern entströmende, wilde, herbmännliche, etwas moribunde und zugleich bodenständige Aroma — des von der Brustdrüse der Wanze abgesonderten Wehrsekrets — zu einem Aftershave. Vor meiner geistigen Nase nähme schließlich eine komplette Pflegeserie für den Herrn Gestalt an, mit Shampoo, Deo-RollOn, Intimlotion undsofort. Für das Marktsegment der frustrierten, heterosexuellen männlichen Mittelschicht jenseits der Vierzig, den kleinwüchsigen leitenden Angestellten und ewig Zurückgesetzten, die von Gram zerfressen — wohl für immer — lediglich niedere Stellungen bekleiden werden, in provinziellen, mittelständischen Unternehmen, welche schon einmal bessere Tage sahen. Recht protzige Flakons aus anthrazitfarbenem Rauchglas würden es wohl werden, für deren Form die charakteristische Silhouette eines Wanzenkörpers Pate gestanden hätte. Oder auch entfernt wie eine Urne, irgendwie mit Metallic und geilen Buchstaben, die ewige Jugend verheißen.