Von der Küstenstraße kann ich einen besonderen silbernen Raumgleiter sehen. In den kurzen Momenten, wenn die kurvenreiche Fahrt den Blick freigibt weil die Baumwipfel sich lichten. Wie er dort nur schwebt, ohne vor und zurück. Drageeförmig, mit halbrunden Enden aus Glas. Darin üben — von hier — winzige Menschen eine Art von Kampfsport oder Tanz. Sie tragen gelbe, orangene oder rote Anzüge. Wobei die rote Farbe jenen Sportlern vorbehalten ist, die im Begriff sind den Grad der Meisterlichkeit zu erlangen, wie eine Stimme aus dem Off erklärt. Körper, die in dem träge dümpelnden Gefährt bald zum einen Ende, bald zum anderen wogen, wie die Wirkstoffkügelchen einer gigantischen Himmelstablette. Auf dem Rücksitz meines goldenen Cabriolets liegt flatternd ein Konvolut aus Buntstift-Zeichnungen, Mustern und flüchtigen Notizen auf Einkaufszetteln, gebrauchten Kuverts und so fort.
Ein Gerüst aus Stahlbeton, nachgiebig gegenüber Winterstürmen und seismischen Verwerfungen, aber hartnäckig gegenüber Zerstörung und Verfall wie ein Flakturm des zweiten Weltkriegs. Es ist ein weithin sichtbarer, finsterer Menhir, der gegen Abend, die im städtischen Tiefland gelegene Altstadt durch seine Präsenz beschattet. Von aussen betrachtet, wirkt die anthrazitfarbene Fassade aus mattem Rauchglas zwar leicht, aber doch abweisend und bedrohlich.
Luftig zu Gruppen arrangierte Sessel, bezogen mit grobem Leinen in gedeckten Bunttönen. Aubergine, Schlickgrün, Braun und Orange. Ein sehr hohes gläsernes Sprungbecken, in das in loser Folge, in Luftblasen gehüllte nackte Leiber eintauchen. Hinter lautlosen, von verborgener Haustechnik geöffneten, Schiebetüren liegen Raumteile, die paternosterartig zwischen den Stockwerken oszillieren. Geräumige, voll eingerichtete Umlaufaufzüge, die langsam an der gläsernen Fassadeninnenseite entlang, zwischen den Etagen des Wolkenkratzers empor gleiten. Bewegung und Verweilen zugleich. Roher Beton und dunkle Edelholzpaneele. Mehrsprachige Bibliotheken an deren Boden kleine wachtelartige Vögel schreitend nach Brosamen suchen, humide Gärten, Sportswear und Longdrinks — hier wird Golf gespielt, Schmetterlinge und Kolibris, die schwirrend vor üppigen Blütenkelchen in der Luft stehen, Klettern — aussen an der Fassade wie Spider-Man, thailändische Reisgerichte von Handwagen gereicht, Squash gegen eine Glaswand vor abendlichem Stadtpanorama, Saunen und freizügige Bäder, eine neoklassizistische Theaterarena aus blossem Beton zur Aufführung moderner und antiker Dramen, Bigbandsound und Exotica, aus Stein gehauene Statuen, die das Leben und die Schönheit der Säugetiere verherrlichen, ruhige, umlaufende Balkone und ein weitläufig labyrinthischer Landschaftsgarten auf dem Dach — im 104. Stock, auf den wildumwucherten Lichtungen treffen sich die Liebenden, Obst und psychedelische Drogen, mit scharlachrotem Samt ausgekleidete Kinosäle und eine schneidend kalte Eisarena, gleißendes Neonlicht dort und weiße Kacheln, die Kanzel des DJs ist eingerahmt von gebürsteten, stählernen Rohren aus denen jaulend, unter Hochdruck Trockeneis entweicht und an deren unteren Enden leistungsstarke Bassboxen eingelassen sind; auf der riesigen Eisfläche proben einige hundert Frauen in silbernen Latexanzügen ein kubistisches Eisballett. Die sonst unablässig selbsttätig arbeitenden, wendigen, kleinen Eisaufbereitungsroboter warten derweil im Standby-Modus am Rand.
Ein Hochhaus der Lebensfreude, dessen Architektur dazu angelegt ist, geistig-epikureische und körperliche Lust zwanglos zu vereinen.