Heute bin ich seit Jahren mal wieder am Bahnhof Zoo ausgestiegen. Ein Bahnhof der kein Tor zur freien Welt mehr ist, hier hält nur noch die Regionalbahn. Geblieben ist ein in Frontstadtjahrzehnten abgelagertes Bahnhofsviertel, das mehr bietet als die üblichen fettigen Croissants und Krawatten mit Micky-Maus-Motiven. Eine lärmige Passage zum Beispiel, die Wände mit brauneloxiertem Aluminium verkleidet. Bumsmusik und Leuchtreklame wirbt um Kunden für das schnelle Glück. Einzelkabinen, Wettbüros, Pornokinos, Schnellimbisse, halbseidene Wechselstuben sowie mit – von Alkohol lebenden – Fossilien bevölkerte Traditionskneipen aus denen Nikotin und kalter Bulettenhauch wabert. Handretuschierte Ansichtspostkarten der Spandauer Zitadelle und des Funkturms. Unveränderter Nachdruck seit 1976. Windige Südländer treten zügigen Schrittes aus dem Dunkel und bieten zunächst pantomimisch, später zischelnd Genussgifte an. Zum langsamgehen verdammt, die zombiehaft herumwankenden Fußgänger sind schuld. Eine Besorgung schickt mich hierher, die Ware wurde in den Geschäftsräumen des Anbieters hinterlegt, man kann nicht alles bei Amazon kaufen.
Heute ein urbaner Flaneur, die linke Hand in der Hosentasche, etwas zugekniffene Augen, wider Erwarten lugt die Nachmittagssonne hinter grauer Quellbewölkung hervor, meine Unterlippe in einem leichten Anflug von Misanthropie ein wenig zusammengezogen. An der Treppe zum U-Bahnschacht lungern Rauschgiftsüchtige herum, graublauer Teint, Hände und Gesichter – in denen elfenbeinerne Augäpfel sitzen – wie geschnitzt; eine Art apokalyptische Augsburger Puppenkiste hat sich hier in einvernehmlicher Erwartung versammelt. Trotz Stahl und Glas, das siebziger Jahre Flair bleibt. Teakholzimitat mit Alu, David Bowie, der deutsche Herbst und steile Zähne. Alte Junkies die vielleicht Rocky, Werner und Fetzer heißen. Die Eingangsszene eines Filmes mit Charles Bronson, überlagert von verrauschter, orangener Helvetica-Typographie. Ein Retro-Sündenbabel, wie es abgehalfterten CDU-Bezirkspolitikern vorschwebt, wenn sie an lokale Sicherheitsdefizite denken.