Hightatras

Von Grimma nach Krasnodar

Um sieben Uhr Abfahrt bei niedrigen Wolkenbänken und empfindlicher Kälte. Stübbe rückte seine Schutzbrille in Positur und schwieg. Wir saßen in einem feuillemortfarbenen DKW Monza mit Alternativgetriebe. Immer weiter gen Osten ging die Fahrt, hinein in die Steppe. Wenn der Motor schwieg, hörten wir die Front.

Gelegentlich, wenn, was einmal Lohe war, nurmehr gloste und ein Klopfen in den Zylindern anhob, griff Stübbe, der neben mir, im Fond des Wagens reiste, nach hinten, gegen die staubige Rückbank, und packte zwei, drei Torfbatzen vom Stapel, der dort, von flinken Händen aufgeschlichtet, lag; Klappe auf und hinein damit in die Brennkammer, wo einst, im Frieden, Handschuhe, Kartenmaterial und Proviant Heimstatt hatten.

Über das so sichtbar werdende Gelenk Stübbes, das sonst stets in den Mantelschößen verborgen lag, lief eine spannenlange unbehaarte Hautpartie, die an der Wolfskralle abrupt zu enden schien, rosa Narbengewebe, wulstig pochend. Im Club hieß es hinter vorgehaltener Hand, ein bereits auf Deck liegender, vermeintlich toter Thun, der sich im Nu zu einem lebensbejahenden Derwisch mauserte, sei verantwortlich dafür. Andere wollten wissen, beteuerten felsenfest es mit eigenen Augen gesehen zu haben, daß man Stübbe in einer übel beleumundeten Kellerbar in Addis Abeba auf Messer gefordert hatte.

Uns umgab die Steppe. In einer verbrannten Krüppelkiefer hing ein totes Pferd. Wenn die Schnauze des Wagens in ein Schlagloch eintauchte, wirbelte feiner Staub auf, ein Staub wie emporgeblasener Zimt. Manchmal versetzen listige Freischärler die Werstpfähle, die die Straße säumten, und Reisende fuhren direkt, zum Teil mit hoher Geschwindigkeit in die Erdhöhlen der Freischärler und wurden dort beraubt und geköpft, wie gesagt wird. «Es wimmelt hier vor Feinden, bloss werden wir ihrer nicht angesichtig, da sie sich eingegraben haben und dort stoisch verharren wie die Mucker im Winter» sagte Stübbe und seine pelzige Rechte wischte eine vage Geste gegen die Einöde vor den Wagenfenstern. Obschon die Sonne hoch am Firmament stand, war es düster, da der Horizont verfinstert wurde von Ölfeldern und Autoreifen, die im Rahmen kriegerischer Handlungen entflammt worden waren. Als silbrigfahle Scheibe stand die Sonne im schwarzbraunen Qualme.

Plötzlich ging alles sehr schnell: das Auto wurde von einer Hammelherde umwimmelt, die jemand dorthin getrieben hatte – vierschrötige nagergesichtige Gesellen mit bukolischen Bärten, wie man sah. «Ein Hinterhalt! Raus aus dem Wagen!», gellte die Stimme Stübbes und wir rollten die Böschung hinab zu einem eisigen Fluss in dem zwei lehmverkrustete deutsche Soldaten lagen – die Gesichter nach unten, die Beine steif und unwirklich verdreht.

Wir hatten uns anhand eines Messtischblattes zu einer Karawanserei durchgeschlagen, die die Wehrmacht für deutsche Reisende in kriegswichtiger Mission requiriert hatte. Ich trug eine mit Hundefell abgefütterte Joppe aus Ölzeug, genagelte Juchtenlederstiefel (die ich jeden Abend mit Birkenteeröl einzuseifen pflegte), ein rostrotes Hemd aus persischer Rohseide und eine derbe, dieselölgetränkte Drillichhose in Salz-und-Pfeffer-Optik.

Gleich bei der Pforte, im Hof der Herberge, in dem die Mandelbäume blühten und gerade flügge gewordene Falken von Zweig zu Zweig flatterten, saßen beim Brunnen, an dessen kühlem Grunde sich grünlichfahle Wasserschlangen ringelten, zwei emsige Zwangsarbeiterinnen und strickten Unterwäsche aus schwarzer Kamelwolle, nach der die Front dringender denn je verlangte. «Siehe», sprach da Rebecca zu Sarah, die dunklen Augen gen Gestirn gerichtet, «der Falke, er windet sich hinauf in höchste Höhen, die dortselbst nurmehr von äolischem Gesumm erfüllt ist; er achtet nicht des Falkners Ruf, noch seine Gesten, die ihn herabbedeuten und ein gekrümmter Horizont, der in rauchreichen Flammen steht, wird in benetzten Bernstein geworfen.»
«Fürwahr! Auch deucht mich, sein Weg sei gleichsam unser Kelch, der randvoll ist von schwarzer Milch», sprach da Sarah und geschwind glitt grob gesponnenes schwarzes Haar durch ihre mageren und wunden Pfötchen, wie es der Plan vorsah.

Die Wände des Festsaales waren mit pfauenblauen Fliesen verkleidet und die Decke war arabeskenhaft stumpfgolden ausgemalt. Und ein Brunnen war da, an der Längsseite, in dem es munter plätscherte von einem Wasserspiele. Knospende Seerosen trieben auf der Oberfläche und feiste Karpfen wie aus patiniertem Messing stießen empor und sperrten träge ihre Mäuler auf. Lakaien gingen in Pantoffeln leise auf und ab; sie trugen Leinsäckchen bei sich und kleine Feger zum Aufnehmen des Sandes, den der Khamsin unermüdlich hineintrieb. Da für die Fensterdichtungen gedörrter Kameldarm verwendet wurde, der naturgemäß oft spröde und alt war, hatte der Wind ein leichtes Spiel. Durch Spalten und Ritzen mäanderte die Wüste herein und der Sand bildete selbstähnliche Strudel, die dann gerippte Dünen wurden, die der nachrückende Strom zu kleinen Gebirgen aufhäufte, bis schließlich dienstbare Schatten sie mit verhuschten Gesten fortfegten. In den Fundamenten der vier Windtürmen, die die Ecken der Karawanserei bildeten, schaufelten Gefangene erbittert gegen den vordringenden Sand; wer in seiner Arbeit nachließ, den unterwarf der Mahlstrom ohne Ansehen der Person.

Da die Sonne sich glühend senkte, war Stübbe, der Stunde gemäß, mit dem weißen Sommerrock der Wehrmacht angetan, an dem die rangtypischen Kragenspiegel aus weißgoldenem Eichenlaub prangten; kontrastiert wurde dieses zweifellos schneidige Erscheinungsbild durch ein auffallend geschmackvolles Einstecktuch aus bronzefarbenem Battist, wie um vermittels solch eines zivilen und dandyhaften Accessoires der Jenseitigkeit militärischer Form an diesem Orte Ausdruck zu verleihen.

Eine Kapelle war von hinten, über ein rohgezimmertes Palisandertreppchen auf die Bühne gestiegen. Die Musiker trugen silbrigweiße Jackets, die bei Faltenwurf etwas glitzerten. Scheinwerfer warfen einen scharlachroten und dunkelblauen Lichtschein auf die Bühne.
Es handelte sich um eine ausgewachsene Bigband, in deren Mitte jedoch auch Fagottspieler und Negertrommler ihren Platz hatten. Die Band spielte einen bekannten Lindy-Hop und Tänzerinnen drehten sich anmutig im Kreise und schlugen sanft die Pfötchen aneinander.

Um applaudieren zu können, was Stübbe mit einigem Enthusiasmus tat, da ihm die Nummer gefiel, hatte er sein Highballglas auf einem Tischchen abgestellt, wenngleich sein Klatschen nur vergleichsweise schwach erklang, da das struppige Fell zwischen den hellen Zehen einiges dämpfte. Während noch die letzten Musiker die Bühne verließen, wurde vermittels Hydraulik eine Art metallische Düse aus dem Bühnenboden emporgefahren, die schließlich mit einem Geräusch in ein unsichtbares Bajonett einrastete. Die Öffnung der Düse war, wohl von vorherigem Gebrauch, mit feinen Schmauchspuren überzogen. Ein Rauschen hob an – bald krächzender Diskant, bald geisterhaft gutturales Gemurmel und ein mattes rotes Licht begann in den Tiefen der Maschine zu glimmen, drang durch die Düse nach aussen, in den Saal, in dem Stille herrschte. In Wellen pulste das Licht nach oben, nahm an Stärke zu, Schemen wurden sichtbar, vage Formen zunächst, gleichsam flüchtiges und kränkliches Gewaber, bis mit einigem Geknister ein Abbild des Führers auf der Bühne erschien, dessen Blick schweigend auf dem Auditorium ruhte. Ein Hologramm Adolf Hitlers, überlebensgroß und gänzlich aus rubinrotem Licht modelliert, an dem winzige Verbindungsstörungen, in Form von feinen, wohl ozongespeisten Flämmchen umhergaukelten, die einige Augenblicke in der Luft nachglühten, wenn der Führer seine Arme zu charakteristischen Gesten erhob, die in fahriger Bewegung, wohl auch da der Führer die Ostfrage ansprach, zu Artefakten zerfielen, sich jedoch in relativer Ruhe rasch wieder bekoberten und sogleich an zwischengespeichertem Detail gewannen.

Wir standen an der Brüstung einer schmalen Dachgalerie, die die Windtürme der Karawanserei miteinander verband. Wind und Sand hatte die Fliesen, mit denen der Boden ausgelegt war, stumpf werden lassen. Daß sich eine Wetterwende abzeichnete, ließ der wirbelhaft aufstrebende, von königsblauen und salmonfarbenen Valeurs durchwebte Zug der Schleierwolken, wie auch das hochfrequente Pochen meines kleineren Schmisses an der Wange vermuten. Dank der abendlichen Klarheit war die sonst so entrückt anmutende Bergkette am Horizont scheinbar nah wie nie. Bald hier, bald dort blitzte an den Hängen gleißendes Mündungsfeuer, das sich leicht auch als kreislaufinduzierte Trugbilder hätte wahrnehmen lassen, wenn nicht das wohlbekannte heisere Husten der zahlreichen MG 34 die staubige Ebene mit düsterem Donner erfüllt hätte. Die Wehrmacht hatte sich in dem unwegsamen und zugleich strategisch höchst wertvollem Gelände eingegraben um feindliche Stellungen von erhabener Warte bestreichen zu können.

Bei der zweiten Angriffswelle, die mit schwerem Gerät durchgeführt wurde, hielt ich einen Absinthcocktail, in dem Eiswürfel schwammen, in der Hand. Die titanische Schönheit der fuchsiafarbenen Parabeln, die die Werfergranaten in den Himmel schnitten; das majestätische, gegen den Scheitelpunkt scharf anschwellende Brausen, das den Einschlag präludierte.

Stübbe lehnte kurz seinen Kopf gegen meine Schulter und sagte – sogleich wieder Haltung gewinnend «Für uns Aristokraten ist dies bekanntlich der einzig schickliche Ort der Emigration; denen aber, die sich dort im Dunkel in die Gräben ducken» – er blickte aus stahlblauen Augen gen Gebirge – «ist dieser Krieg in fernem Lande womöglich einzige Gelegenheit im Leben der Beschränktheit von Scholle und Werkbank zu entfliehen».

Da dachte ich an den schneidend kalten Winter sechsundzwanzig, den wir auf unserem Gut in Westpreussen verlebten, und schwieg. Die Knechte verluden einen zentnerschweren weißen Klotz auf den Panjewagen, vor dem die Wallache bibberten und aus den Nüstern dampften. In der Molkerei in Braunsberg schnitten sie’s mit der Säge runter und die pelzvermummelten Bürger trugen ihre Milch in khakifarbenem Ölpapier eingeschlagen heim. An Weihnachten, als Marga, die Gutsvorsteherin, wie angewiesen, eine irdene Schale mit Winteräpfeln vom Speicher hertrug für uns Kinder, sagte unser Vater «Wer weiß, was wird! Esst mir also auch ja die Griebsche!». Auf dem Gemälde beim Kamin sah er aus wie Friedrich Nietzsche.

Beim Abendessen. Im Saal waren zeitgleich Kellner ausgeschwärmt, die den Hauptgang auftrugen: Kandierte Kamelhoden auf einem Wildreisbett an einer Jus von Blutorangen und Armagnac. Da winkte Stübbe einen der Kellner heran, da er das Gericht, das allenthalben auf die Plätze eingesetzt wurde, allein aufgrund des Aussehens nicht liebte, vielmehr den Wunsch hegte, fortan à la carte zu speisen. «Bring die Fischkarte», belferte Stübbe – Barschheit, die in einer plötzlichen Depression, einer widrigen Ausschüttung von rivalisierenden Botenstoffen begründet lag. «Herr, die Küche hält lediglich Gepardenforelle vor, diese jedoch aus eigener Aquakultur», so der Kellner, der gebückt stand, wie in der Erwartung von Schlägen. Stübbe lüpfte die Lefzen, daß gelbe Fangzähne sichtbar wurden, die zwar etwas gelb waren, aber stattlich und wenig kariös.

Auf Stube. In einer zwielichtigen Ecke abseits des Fensters wälzte sich Stübbe unruhig auf einer seidenbezogenen Recamiere, die mit goldenen Ziernägeln reichlich beschlagen war. Sanft bewegte ein auflebender Wind die Vorhänge. Er beklagte erhebliches Leibreißen, daher trat ich an sein Lager heran. Ich maß seinen Puls, der erhöht war; ich betastete seine Flanken, die hart waren und spasmisch erzitterten – zudem troff weißer Schaum von seinen Läufen.

Ich saß auf einem Polster beim Fenster mit einem Belletristikband. Vor einer halben Stunde hatte ich mir eine Mischung aus Morphium und Lithium in das weiche weiße, von Deckhaar bedeckte Fleisch des Unterschenkels injiziert, vornehmlich gegen den pochenden Bauchschmerz, an dem ich nun ebenfalls litt, aber auch um meine trübe Allgemeinbefindlichkeit aufzuhellen.

Dr. Heinrich Brunner, der Stabsarzt betrat mit militärischem Schritt und knappem Gruß das Zimmer. Kurze visuelle Inspektion: – Totenflecken, genug, genug, ferner Puls: negativ. Da die Todesursache nicht zweifelsfrei auf der Hand lag, war eine Sektion angezeigt. Brunner hatte seine Bereitschaftstasche auf einem Sessel abgestellt und geöffnet; darin Skalpelle, Scheren, Sägen – kurz alle unerlässlichen Werkzeuge zur Zergliederung des Leichnams.

Ein kühn geführter Schlag auf dem Fechtboden hatte seinerzeit des Doktors Gesicht buchstäblich diagonal in zwei Hälften gespalten. Dank eines mit Bedacht eingelegten Roßhaares war die Narbe recht stattlich verhornt und verwachsen und hatte so eine expressiv asymmetrische Physiognomie geschaffen.

Der Doktor schob sein Monokel in die unversehrte rechte Augenhöhle, setzte das Skalpell routiniert an, schnitt bogenförmig entlang der Klavikel in das Fettgewebe, durchtrennte das Duodenum, dann das Darmrohr, eröffnete die Bauchhöhle und schließlich den Magen. Die schwülwarme Luft wurde zunehmend von Fliegen bevölkert, denen der Brodem der blossliegenden Organe nicht entgangen war. Brunner trat zurück, an ein Handwaschbecken heran. «Herz, Leber, Nieren et cetera perge perge unauffällig. Todesursache: Ciguatera – sprich Fischvergiftung.» Er sah mich kurz an, genau genommen erfasste mich der Autofokus seines auffällig messinggefassten Retina-Implantats von Zeiss, das sein linkes Auge ersetzte; der Engländer hatte es ihm sechzehn bei Ovillers-la-Boiselle weggeschossen. «Eine Fischvergiftung in der Steppe! Die Steppe kaut und kaut mit Drachenzähnen.» Ein deutscher Gruß und der Doktor verschwand, den rechten Flunk ungelenk und klotzig, wie hufartig nachziehend, durch den Türstock in die Dunkelheit. Den Geräuschen nach zu urteilen, hatte der Feind an Boden gewonnen. Draußen war die Nacht samtig über die Steppe gefallen, im Raum roch es nach Schwefel und Körperlichkeit. Die Fliegen balgten sich um den gärenden Leib des toten Stübbe, verschwanden im Fell, krabbelten gesättigt wieder hervor und ich fühlte, wie meine Beine an Substanz verloren und die Hose zu schlottern begann und schließlich graubraun und speckig auf den Schuhen zusammensank.

Es ist windstill und riecht nicht nach Fisch

Aus dem fahrerseitig heruntergelassenen Seitenfenster im Fond eines vorbeifahrenden Auto spritzt eine niedrigviskose Barbecuesauce, die lange in der Luft steht und dann zögerlich abregnet wie ein verglimmendes Feuerwerk. Denkbare Koinzidenz: ein Eichhörnchen erstarrt in seinem rastlosen Wirken, die rötlich behaarte Pfote fährt in einer theatralischen Geste zum Herzen: tot!

Ein Akkordeonspieler steht an einem baltischen Dünenübergang und spielt ein virtuoses Medley aus slawischer Volksmusik und Ace-of-Base-Motiven. Der Musikant trägt ehemals weiße Turnschuhe. Vor ihm, auf einem Weg aus Betonplatten, der sich zu einem niedrigen Dünenscheitel aufschwingt und sich dann zum Gestade hinab im Sand verliert, ist ein Gefäß aus Plastik aufgestellt, wie es zum Einfrieren von Speisen dient; darin Münzen. Am Strand füttern Menschen in Freizeitanzügen Wasservögel mit Weißbrot – wohl vorwiegend aus Gründen des Materialerhalts. Am Horizont sind diverse regungslose Fähren und zwei Zerstörer befestigt. Das Maritime ist mir wie eine träge dümpelnde Qualle im Siel geworden.

Das Hineinschleichen der Fauna

Bei Nacht stehen wieder oft Wildschweine auf der Wiese am Fuße des Hauses. Ein Gestalter könnte die Tiere nicht schöner anordnen. Im Licht von Laternen wirft das Schwarzwild Schatten, die wohl scharf begrenzt wären, wenn Gras und struppiges Haar keine rauhen Strukturen besäße. Namentlich die Silhouetten der äsenden borstenbesetzten Mäuler sind sehr deutlich und surreal vergrößert. Da sich mitunter Bodennebel bildet, beispielsweise nach dem Regen, sind auch Halos um die Tierkörper zu beobachten, die sich wellenförmig ausbreiten. Bei ihrem Mahl beschädigen die Tiere die Grasnarbe mit robusten Schnauzen z.T. erheblich, da sie natürlich – und wie leicht vorstellbar zum Verdruss der Mietparteien – keine Rücksicht auf das gärtnerische Konzept der Wohnanlage nehmen in ihrem instinkthaftem Streben nach Nahrung. Ein klassischer Interessenkonflikt liegt also vor – auch ein jähes Aufeinanderprallen von Zivilisation und Wildnis.

Mir gegenüber saß ein Heroinabhängiger. Seine Augen waren als eine Art Standard in ihrem Aussehen von einem gleichförmigen, jedoch schwer zu fassenden Schleier getrübt, der aber ungleich dem des Stares ist. Eine haifischartige Ausdruckslosigkeit zunächst, wohl selbst wenn der Morphinist von gutmütigem Wesen und regen Geistes ist. Das Auge ist dem Gehirn entkoppelt, wenigstens wie eine dieser einseitig durchsichtigen Scheiben, die Ladendetektive in die Lage versetzen, Ladendiebe zu beobachten, die sich unbeobachtet wähnen. Augen, mit denen sich ein Pokerturnier gewinnen lässt. Die Trübung der Iris wirkt, als sei sie rasant und durch geringen Einfluss eingetreten, wie die photochemische Ausfällung gelösten Silbers zu einer dünnen grauen Milch.

Den Augapfel des Morphinisten als elfenbeinfarben zu beschreiben wäre trivial. Es ist eher ein gebrochenes grüngoldgrau und schwer zu fassen und zudem bald unmöglich zu mischen, weder mit Aquarellfarben noch natürlich vermittels einer Computerpalette, wie auch das farbliche Nachbilden des vermeintlich metallischen Chitinpanzers eines Käfers – denken Sie an Centonia aurata etwa oder Gnorimus nobilis – jenseits der Grenze des uns zu Gebote stehenden Farbraums liegt. (Jan van Eyck könnte das bestenfalls, der durch ausgefuchste Lasurtechnik im Stande war Körperlichkeit und die ihr innewohnenden komplexen Brechungsphänomene überrealistisch abzubilden. Ich meine jedoch einen Einzelton.)

Als neulich an einem trüben Nachmittag tintig dunkelblaue Regenwolken tief hingen und als dann der Abend kam und die Sonne aprilhaft, in spitzem Winkel, unter den Wolken hervorschien, die sich gegen den Zenith hoben wie ein düsteres Gebirge und die Atmosphäre zwischen Sonne und Betrachter von aufsteigendem Nebel und feinen schleierhaften Regenfällen erfüllt war; da erschien mir dieses grüngoldgrau – eine feine und vergängliche Farbe, die sekündlich in verschwärzlichtere Valeurs hinabsank.

Eines nachts ging ich spazieren. Da stieg ich einen kurzen steinigen Pfad hinauf, den Beikraut säumte. An meinem Kopfe glimmte und pulste elektronisch eine Stirnlampe. Die Struktur des kleinen Berges, der künstlich ist, bildet sich aus Trümmern, die auch aus dem Boden ragen, aus Backsteinen und Armierungseisen, die expressionistische Schatten ohne Zeichnung werfen. Es handelt sich um eine Landschaft, die Adolf Hitler posthum formte. Kurz vor Erreichen des Gipfelplateaus befanden sich meine Augen auf Bodenniveau und ich sah im Vordergrund die Silhouette eines zügig gen Süden flüchtenden Hasens vor dem rummelhaft erleuchteten Stadtpanorama in der Ferne, dessen kariöse Kleinstadtanmutung und klägliches Streben in die Vertikale sich letzlich durch allierte Bombenteppiche bildete. An der Seite, die gegen den Wald geht, zeichneten sich schemenhaft, da umnebelt und zwielichtig, die Silhouetten von Wildschweinen in romantischer Idealverteilung ab; schwarz vor anthrazitfarben nebliger Nadelbaumrauheit. Am Rand des Plateaus standen zahlreiche Polizeiautos und Polizisten liefen umher wie krabbeliges Insekt, in betresster Uniformbekleidung aber auch in weißen Overalls. Es blinkten blaue Blinklichter und Scheinwerfer warfen ein kaltweißes und nüchternes Licht der Aufklärung. Ein silberner Geländewagen funkelte im Lichterschein. Seht, Handlungen verwandelten das Gefährt gänzlich zu einem Indiz.

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Schön ist immer der Blick nach Norden: Kraftwerke und Schwerindustrie, die am Ufer eines ölig schwarzen, sich träge und devot gen Mündung wälzenden, von rostigen Spundwänden korsettierten Flusses liegen, in dem mehrfach benutzte Einwegspritzen und korrodierte Fässer mit Abfällen aus ukrainischen Leichtwasserreaktoren dümpeln und an deren Uferböschung, tief im Dioxinfeinstaubschmodder, metallische Tausendfüßler hausen, die sich an angeschwemmten Teerbatzen schadlos halten. In dunklen und stürmischen Nächten wabern die Rauchfahnen der Schlote fast waagerecht und am Horizont schillern Nordlichter; grünlich, von violetten Schlieren durchwirkt, wie Benzin auf einer finsteren und tiefen Wasseroberfläche voller Phosphate.

Der Weg der Schwere

Wie sehr ich die Ankunft hierher ersehnte, während den mir aufgebürdeten Jahren im Wald.

Meine Stiefel sanken mit den Schritten schmatzend hinab und winzige Falter stoben bei meinem bangen vorbeistreichen auf von den Blättern. Gelegentlich spürte ich die Ketten von Güterwaggons jenseits des widerspenstigen Grüns, das mich umspann und schließlich stoisch nach mir griff, auch mit rostverschorften Dornen, die meinem Leib auflauerten, daß Blut hervorsickerte und zögerlich hinabrann über meine krustigen Schenkel. Die Hunde belferten, wenn auch durch die Zeit verhalten. Bei Tag, wenn ich über die Steppe ging und die Sonne gellte, mir die Lunge matt war vom Staub und bei Nacht, wenn ich im Moor schlief, mir ein Lager aus triefendem Torf zurechttrat und nicht am Feuer saß. Immer hielt ich inne und trank aus der Zinnflasche, die ich bei Dunkelheit in der Waldhütte eines Muschiks gestohlen hatte und ich blickte beim Trinken hinauf in den Himmel, ob der Herr Regen schicken würde oder einen Sturm.

Jetzt liege ich rücklings im halbdunkel auf dem staubigen Boden und flattere mit den dürren Ärmchen um mich hinabzuwedeln in die köstliche Erde, wie eine Flunder. Vorzüglich kühle und aromatische Luft gibt der Herr mir hier zu atmen und einen Knust Schwarzbrot fand ich von seiner Hand vor. In Raum und Zeit hat sich eine aufgelassene Kosakenmiete zu meinen Gunsten materialisiert, die aus bitumenbestrichenen Bohlen gefertigt wurde und draußen im Sonnenlicht von einem Ring aus sieben summenden Bienenkörben umstanden wird. Einige der Bienen schweben schwerfällig, scheinbar wie suchend, unter der Decke und auf einem Sims aus splittrigem Holz steht eine schwächlich glimmende Butterlampe.

Ehe ich die Drohnen der Deutschen sah, hörte ich sie. Ich saß auf einer kleinen Anhöhe in einem Dornenbusch sicher verborgen, rauchte und trank Kwas, in dem Moosbeeren schwammen. Da gewahrte ich, wie sich die Drohnen, angesichts der roten Dächer des kleinen Weilers, der unten beim Bache lag, aus schwärmendem Umherstreichen zu gezielter Zerstörung formierten in titanischer Funktionalität. Sonnig und sehr still war es an diesem Tag und die Kirschbäume blühten. Auch die Vögel waren verstummt, daß ich das rotieren und zarte klickern der Festplatten im Kern des schwarzen Kruppstahles zu vernehmen meinte. Es mögen wohl an die zwei Dutzend gewesen sein. Schließlich wurden leicht entflammbare Kampfstoffe in die Ausstoßdüsen gepumpt.

Mein Vater fuhr ein stattliches Auto, dessen Motor nach Herrenzimmer und Antilopenleder klang. Einst bewohnten wir auch ein gutes Haus. Dann brachte man uns zu einer Waldstelle, wohl hundert Werst von den Gleisen entfernt, und mein Vater musste seine Uhr abgeben.

Sonntagmorgen, 11 Uhr Ortszeit

Der Kandidat ist ein Endzeitkandidat; ein Kandidat, dem naturgemäß nur noch brennende Hochhäuser und schwarze Drohnen folgen können, die zitternde Laserstrahlen aussenden auf die Röcke gegen den Palast marschierender Bürger, die Fleisch und Flachbildschirme wünschen. Zurück bleibt ein Replikant, der einst durch die Luke eines unterirdischen Laboratoriums auf die Erdoberfläche geworfen wurde, und der eine schöne Krawatte trägt, die der Pöbel zornig zerreißen wird, wie es tolle Hunde tun und während die Pforte erbrochen wird, sich die Wächter also in ihrem Blute winden, erhebt sich ein Hubschrauber krängend und träge vom Dache des Palastes.

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Durch die Sicherheitsglasscheiben eines in Fahrt befindlichen Fahrzeuges und ferner durch die rasch oszillierenden Öffnungen einer Steinschlaggalerie wird ein giftgrünes, von Quellen durchquollenes, gipfelwärts von Nebeln umnebeltes Felstohuwabohu sichtbar. Unversehens weitet sich der gegen das mahlende Gestein von Beton umschlossene, dem Berge abgetrotzte Straßenraum zu einer finsteren und feuchten Parkbucht, wie unverwandt wahrgenommen wird, verdunkelte und beschlagene Autos stehen dort – lauernd – und adlerhorstartig ist ein von heimlichen Leuchten heimelig erleuchtetes Geschäft talseitig befestigt; hinter Schaufenstern – von wulstigen Gummilippen gerahmt – wird Reisebedarf vorgehalten, wie etwa ein wunschgemäß recht kühl temperiertes, von pfandfreiem Polyethylen ummanteltes diätisches Getränk hinter einer mit falschem Frost bedruckten Schaukühlschranktüre.

Herr No äußert sich zur europäischen Frage

Wie es scheint, wird Welschland zu unserem Tschetschenien – die Indizien eines verlöschenden Großreiches verdichten sich. Die Peripherie rebelliert und dem europäischen Kernreich gebricht es an Schlagkraft und sinnvoller innerer Struktur wie einst dem imperium romanum. Der unweigerliche Niedergang nimmt seinen Lauf und das folgende Machtvakuum wird mit flächendeckender Balkanisierung gefüllt. Wir machen unser eigenes Europa mit Blackjack und Nutten. So einfach ist das.

Und ich betrachte ein virtuelles Selbstbildnis als Emporkömmling des Untergangs; Produkt der Zerschlagung von Infrastruktur und staatlichen Institutionen; Typus Freischärler und Geschäftsmann, der in Heroin, Arabicabohnen, Eau de Cologne oder weißrussische Jungfrauen macht – der Marktlage entsprechend. Mit der Absteckung neuer Geschäftsfelder und dem Erwachen hegemonialer Gelüste ließe ich mir einen stattlichen Schnurrbart stehen, dessen Enden ich mit Schweineschmalz emporzwirbelte und ich trüge eine Mütze aus zottigem Ziegenfell, einen mit slawischen Volkskunstarabesken bestickten Lederholster für verschiedene großkalibrige Handfeuerwaffen und goldene Schneidezähne mit eingelassenen Brillanten funkelten in meinem Munde. Ein Mann, der mich berauben will, muss mich töten und eine Zange mitbringen, scherzte ich nicht selten und mein linkes Glasauge blickte dabei ungerührt, von feiner Craquelee durchwoben, gen Nordwesten.

Auf Saumpfaden, über in Vergessenheit geratene Pässe, triebe ich schwer bepackte Maultierherden bis zu modrigen, frühnebelverhangenen Hütten, an denen dunkelgrüne Geländewagen warteten und am Fuße jenseitiger Felsstürze heulten wehmütig weiße Wölfe: Die Waldkarpaten.

Männer in speckigen Uniformhosen und räudigen Bärenpelzen begleiteten mich gegen fürstlichen Sold und über ihren dunkelbehaarten Schultern hingen nachlässig moderne und leichte Schnellfeuergewehre. Und nachts stünde ich beim Feuer mit meiner Geige und spiee in die Glut und träumte von einem eigenen Staat oder einer eigenen Autobahnmautstelle mit Bordell zunächst, bis um mich herum polyphones Branntweinschnarchen erklänge und die Mondsichel mit den Stunden zaghafter würde wie ein dreiviertelgelutschter Halsbonbon.

Reisender, kommst D

Durchsonnte und farblich überhöhte Landschaften, aufsichtige mediterrane Gestade oder grün dampfende Dschungel, die salzige Macchiawrasen, begleitet von sanftem Wellenschlag, oder das Geschrei behände kletternder Äffchen und das schillernde Gefieder prächtiger Papageien im Geist evozieren.

Gebräunte Fesseln sind von meterhohen Azurbrechern umspült und die lachhaft gebleckten Gebisse disproportionaler Touristen machen gefrorene Miene, die Heiterkeit bezeichnet. Einem erregten Ausfallschritt muss unweigerlich ein kleiner Tsunami folgen und der kometengleich gen Weltall geschleuderte Kunststoffball wird einen Badeort fortwährend verfinstern, und vorgestellt, er würde nicht gefangen, sicher verheeren.

Es handelt sich um Plakatwände, die in den Städten aufgestellt sind, die dem Betrachter anbieten einzutreten in eine Wunderlandschaft, es den godzillahaft und photoshopdesaströs Dargestellten gleichzutun: in der schönsten Zeit des Jahres eines der letzten Paradiese spielerisch zu zertrampeln und ein Volk von Ausländerzwergen zu dominieren.

Diese werblichen Bilder pittoresker Paradiese oder vormoderner Kulturlandschaft sind gut aufgestellt und entfalten Wirkung vermittels einer Art Kakophonie der Kontraste, besonders im S-Bahnhof Westkreuz unten, wo Schmelzwasser an rostigen Armierungseisen hinabrinnt in ein müdes Bett aus staubigen Pet-Flaschen, Tampons und Einwegspritzen, wo eine räudige, mit verkrüppelten Füßen geschlagene Taube Kotze frisst und ein Clochard, dessen ganze Erscheinung wie geteert wirkt, gebetsmühlenartig scheinbaren Blindtext aufsagt.

Reklame löst ihr Versprechen nicht ein. Der Reisende weiß sehr gut, auch wenn er es aus sentimentaler Schrulle verdrängen mag, daß er den eigenen Abgründen auch durch fernste Fernreisen nicht entfliehen kann. Vor Ort verkehrt sich der Kontrast des Versprechens und wird den Reisenden unweigerlich hinabziehen in einen Malstrom der Depression.

Schöne Mädchen, deren schlanke Taillen feine farbintensive Seidenstoffe in Ethnooptik umspielen. Bald schreitet hier ein Gepard, bald flattert dort ein Kolibri und auch Früchte verbreiten ein Flair süßlicher, von Fliegen umbrummter Exotik. Es erschallen die naturgemäß lebhaften Rufe rassiger Südländer in den Gassen einer beliebigen Altstadt, die zum türkisfarbenen Hafen hinabführen. Im Mittelgrund legt ein weißes Schiff an, die Kapelle spielt ein reich instrumentiertes Musikstück und am jenseitigen Ufer, in nebligem Sonnenglast erheben sich ferne weiße Berge und eine filigran liegende Mondsichel erscheint dem Reisenden im roséfarbenen Blau, der sich zunehmend schäbig und matt fühlt wie Hans Castorp.

Säße ich doch hinter staubmatten Scheiben im Tunneleck unter der Autobahn, wird der Reisende denken, und tränke lauwarmes, kohlensäurearmes Kindlpils aus nikotinfilmklebrigen kleinen Tulpen an einem regnerischen Dienstagvormittag im März um elf Uhr dreißig, bei 2°C Außentemperatur und draußen würde umständlich ein blaßblauer japanischer Kleinwagen eingeparkt und auf BB-Radio liefe halblaut ein Titel von Andy Borg und bei Lidl wäre Mortadella im Angebot.

Der Geist des Menschen fließt aus ihm hinaus und erstarrt in seinem Umfeld mehr oder weniger gefügt zu Materie. An einem Gefälle zwischen Innen und Außen muss der an fremde Orte Geworfene erkranken, vor allem aber vor einer steilen Wand der Erhabenheit.

Zwei Wochen Schwedt an der Oder im November wäre eine Reise, die den Berliner gestärkt und geläutert zurückkehren ließe; bei Mikrowellenkost verlebt, im Erdgeschoss eines feuchten, nur noch von Skinheads und Zombies bewohnten Plattenbaus, gelegen an nordseitiger, feinstaubbelasteter Ausfallstraße nach Polen, wo rumänische Elendsprostituierte im fahlgrünen Licht von Nieselregenlampen in die miefigen Fahrgastzellen zahnloser, ungeduschter, speedabhängiger und adipöser Fernfahrer stiegen.

Die Toteninsel

Gestern besuchte ich einen Ort, dessen Anblick ich Zeit meines Lebens nur en passant und durch Fahrzeugfenster kannte. Ein Friedhof, der zu vier Seiten von Eisenbahnstrecken und Autobahnen umflossen wird. Das Gelände befindet sich auf gletschergeschaffenem Bodenniveau, wurde aber von brausenden, in Hohlwegen verlaufenden Verkehrsströmen zu einer Insel geschnitten. Als ich über die schmale, zum Friedhof führende Metallbrücke ging, unter mir die von Schmelzwasser graubraunen Fahrzeuge, dachte ich an Böcklins lebenslanges Sujet, das hier in dystopischer Ausformung vorliegt. Die Gräber und Namen auf den Grabsteinen sind gründerzeitlich. Unter nassen Eisplatten rann träge Wasser hervor, die Sonne schien verhalten und einzelne Amseln sangen in den Ästen der alten Eichen oder am Fuße von Rhododendronbüschen. Einige der Gruften scheinen nur noch von den sie umschlingenden, armstarken Efeurhizomen gehalten. Engel und Medusen, die Zeit und Messingwasser kränklich grün werden ließ. Hier liegen verstorbene Besitzbürger und ihre Namen sind in serifenlosen aber vormodern schwellenden Majuskeln in Muschelkalk getrieben. Ausgehender Jugendstil, beginnender Neoklassizismus, wie oft an solch vermodernden Orten. Das Gelände ist recht klein, vielleicht etwa halb so groß wie mein Garten und ähnlich wie Böcklins Gemälde im Zentrum dicht von Bäumen bestanden und gegen die Brandung zu drei Seiten mauerumschlossen. Jenseits der porösen Umfriedung, wo das Gelände gen Autobahn und Schienen abfällt, sprießen junge Birken aus Waschmaschinen und junge Graffittikünstler staksen durch widriges Dornengesträuch.

In diesem schmalen Streifen zwischen entfesselter Kinetik und Totenreich, dieser Ungunstlage, die eigentlich ein Unort ist, siedeln Kleingärtner. Es sind wahre Siedler, die karges Land urbar machten und ihm kraft Technik und Glauben Wert in Form von Heimat abtrotzten. Mir scheint diesem Bild ein Wirken innezuwohnen, daß diametral zu dem der Medien ist. Ich sehe hier das Werk von Menschen, die Sägen und Hämmer zur Hand nahmen um eine Laube zu errichten, die Geranien pflanzten und eine Hollywoodschaukel rausstellten, die Doornkaat trinken und Bundesliga im Fernsehen anschauen: Segen der märkischen Erde!

Wer benötigt jedoch eine Medienmaschine, die Gold zu Scheiße verwandelt? (Wobei Gold die reine Information darstellt und Scheiße schließlich die Meinung von Weblogautoren) Ich wünsche aus dem Inneren geschöpftes, unmittelbar Erlebtes, Erdachtes oder Gewusstes; Autoren, die eloquent über Möbelbau oder Alpenpflanzen zu schreiben vermögen, die beschlagen sind in flämischer Genremalerei wie im Golfsport, die über eine historische Schusswaffensammlung verfügen, mit dem Imkereiwesen vertraut sind oder vielleicht gerade eine Expedition zum Kilimandscharo durchführen. Was ist muss sterben; stockfleckig, feucht und von Rissen durchzogen ist dieser Medienpopanz und ich warte still auf sein Ableben, wie ein Volk stoisch das Ende eines greisen Diktators ersehnt.

Wir wollen wieder schöne Tierfilme sehen!

Ich habe keinen Fernseher, einerseits weil mir die Anschaffung eines Gerätes zu kostspielig ist, aber auch weil mir das Programm nicht zusagt. Wenn ich alle Jubeljahre einmal bei Bekannten zu einem Fernsehabend eingeladen bin, denke ich im Stillen bei mir, da hast Du nichts verpasst, dafür ist dir das Leben zu kurz. Für diesen Schmutz.

Wird das Thema Fernsehen angeschnitten, in einem Gespräch, so höre ich oft, man schaffte sich die Flimmerkiste an, um zu wissen, was in der Welt vorgeht (Heute Journal) und wegen Arte.

Betrachtet man Nachrichten, in denen die Gesichter von Guido Westerwelle und Ronald Pofalla gezeigt werden, mit Ton, sterben sofort mehr Gehirnzellen ab, als nach dem Genuss von einem großen Seidel Bier. Die Bundesregierung greift aus unterirdischen Laboratorien unsere Gehirne mit Sendern und Vril-Energie an und Arte wird vom Franzosen geführt.

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Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluß vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr herausfinden, daß man Geld nicht essen kann.

Aber die schönen Tierfilme! Und sehen Sie, da denke ich dann: Touché! Was da gezeigt wird, ist wirklich famos! Diese grandiosen Aufnahmen von Tieren in ihren angestammten Habitaten. Und die Kamera ist dicht dran, als könnte man die Hand ausstrecken und die Tiere streicheln. So realistisch! Und gut gemacht, die Kameramänner müssen wohl nie niesen und auch nicht sehr oft austreten. Als Tierfilmer braucht man eine starke Blase, das steht fest, wie das Amen in der Kirche. Wie die kleinen Murmeltiere da aus ihren Bauten mehr purzeln als tapsen und die kleinen Bernsteinäuglein blitzen in der ersten Frühjahrssonne. Drollig ist das. Oder ein kleines Rehlein, das an der Kamera vorbeischnürt (sicher ferngesteuert die Kamera und mit dollen Objektiven ausgestattet, anders kann ich mir das nicht erklären) und dann, Schnitt, ist das Auge des Betrachters unter der Wasseroberfläche und Tierkinderbeinchen paddeln recht unbeholfen in Bergseewasser, daß es nur so eine Art hat.

Aber dann kommt heutzutage immer der Moment, da der Toningenieur die dramatische Musik aufdreht, und dann treten unsympathische Fressfeinde auf um kleine Tiere aufzuessen, zu denen der Betrachter erst eine kurze aber ungleich tiefe empathische Bindung entwickelte. Stop! Solche Bilder müssen rausgeschnitten und vernichtet werden. Weil es grausam ist und auf den billigen Voyeurismus kranker Menschen zielt. Weil wir, die Zuschauer, uns somamäßig einlullen lassen wollen. Es sehen auch Kinder zu! Was sind das nur für Menschen in den Sendeanstalten? Ich gebe Ihnen die Antwort: es ist der Franzose, der es zulässt, daß Zwergspitzmäuse von Eulen gefressen werden. Es ist dieser Artesender, der so deviante Inhalte bringt.

Es sollen vor allem keine Zwergspitzmäuse sterben. Bitte helfen auch Sie! Schreiben Sie an die Verantwortlichen! Wir möchten wieder schöne Tierfilme sehen. Wer Leid und Vernichtung zu sehen wünscht, möge Dokumentationen über Ausschwitz oder die DDR einschalten; das ist ein anderes Paar Schuhe. So einfach ist das.

Hanni und Nanni rauchen Crack

Es gibt ja nur vielleicht vier Plätze auf diesem Planeten, die zur Zeit wirklich rocken, sagt Panther, der auf dem Rücksitz liegt und übertrieben spastisch mit seinen dünnen Ärmchen fuchtelt. Er wartet, daß ich frage welche Plätze das sein könnten. Mach ich aber nicht, kenne die Platte schon und sehe raus ins Halbdunkel. Es ist Abend oder Morgen und egal. Er sagt, Berlin, Frankfurt, Ibiza und Detroit; yeah, Detroit, Alter, und Berlin, Alter. Berlin ist richtig krass Pornostyle; Mucke-, Klamotten-, Fotzen- und Drogenmäßig, alles übertrieben over the top, das ist der Witz, Alter. Und ich sag so, auf jeden, Alter. Wir stehen auf dem Parkplatz hinter dem 90°, am Gleisdreieck, da wo die Nutten vom Babystrich im Auto gefickt werden. Ich sitze hinterm Steuer und neben mir so eine Pritsche, die wir aus der Turbine mitgenommen haben. Sie hat mir vorhin ihren Namen gesagt, die Pritsche, glaube Hermine, nachgefragt habe ich nicht. Wir rauchen Shore und im Radio läuft Blake Baxter – Fuck you up, auch so’n Panzertrack. Die Pritsche fummelt an ihrer Handtasche, wegen E und Panther schläft und schreckt wieder hoch uswusw. Dazwischen labert er irgendwelches Zeug. Überhaupt, Druffis, die einen krass volllabern, daß ihr Ururgroßvater Max Reinhardt heißt oder son Scheiß, oder daß sie jemand’ kennen, der schon mal mit Rainald Goetz gechillt hat und daß der voll nett ist eigentlich. Kurzes Liveset vorhin von Cosmic Baby, der mit Händen und Füßen spielt, was relativ krass ist und danach Wolle an den Decks. Mein Auto ist ein schwarzer Ford Mustang mit ’ner derben Bassrolle von Bose hinten. Die Pritsche hat die Pillen gefunden und meint, sie will sie uns auf die Zungenspitze legen, wie es sich gehört. Ist OK. Und dann fängt sie an zu plappern, von ihrer beschissenen Kunsthochschule, von Neville Brody, The Designers Republic und Virtual Reality und so’m Zeug. Deswegen stehen wir hier, weil die Pritsche uns hierher gelotst hat und weil sie E hat, brauchbare Titten und einen süßen Arsch, wie ich gesehen habe. Sie steht auf der Gästeliste, sagt sie und telefoniert: Fängt um drei an, Station Rose irgendwas mit Computerkunst. Cut. Bunker, Parkplatz und raus, ich krieg’ ne Macke. Konnte beim Fahren gar nichts still halten, wegen dem Scheißspeed, verficktes Kanackenspeed, Alter. Die Tür geht auf, die Tür geht zu und wir sind drin. Panther und ich tragen Camo und Magnum-Boots, die Pritsche ’nen kurzen Rock, nen schwarzes Top mit nem Sabotage-Logo und Turnschuhe von Nike. Was am Bunker immer extrem geil ist, ist schon mal das Treppenhaus, was so übertrieben Psycho ist, daß mir gerade gleich der Kopf platzt. An den Decks steht irgendein Belgier, heißt es, auf jeden Fall 30.000 Watt Tekno mit drei K. Es riecht nach Trockeneis und Ketama, so viel kann ich gar nicht sehen, weil alles weiß ist vom Nebel. Viel Camo, ein paar Glatzen, die Bier trinken oder Cola und zwei Pritschen, die voll mädchenmäßig abgehen auf E und mit Knicklichtern rumfuchteln. Die Eine ist blond und hat ’nen fetten Arsch, die andere ist Mulattin oder so und hat allemal ziemlich gute Titten. Panther ist auf dem Klo glaube ich und die Designpritsche ist auch weg und ich steh mit dem Gesicht vor der Bassbox und mach Poppers klar, als die Mulattenpritsche plötzlich hinter mir steht und ihre Hand in meine Hosentasche steckt und anfängt meinen Schwanz zu wichsen. Ich frag’ sie, ob sie auch will und sie will. Ich geb ihr Poppers. Und dann sind wir auf dem Klo, sie macht die Beine breit und ich ficke ihren Arsch und spritz’ ihr dann in den Mund. Danach liegen wir nen bißchen auf den Matratzen da rum, voll hippiemäßig und rauchen Tüten, die sie vorgebaut hat. Was wären die Nächte ohne Pritschenhandtaschen! Und sie sagt, guck mal, voll schön, voll so wie Impressionismus. Alle raven mit Knicklichtern und sie schiebt träge Optik, das meint sie wohl; glaube, daß sind Engländer, jedenfalls riecht’s voll nach Wick Vaporub und alle tragen so oldschoolmäßige Klamotten von Adidas mit dem alten Logo. Sie heißt Mona sagt sie. Der Track ist Bombscare, derbe gepitcht und im Mix mit ’ner übertrieben gabbermäßigen Bassdrum. Und Panther ist wieder da, die Designpritsche auch. Sie hat schöne blaue Augen, geile Beine und Pupillen wie Stecknadelköpfe. Cut. Tresor, Walfisch, die übliche Runde. Fast forward. Noch mehr Speed, Koka und ne halbe Micro. Wir sind bei Panther zu Hause, zu viert, die Bude ist derbe verkeimt, aber egal, wir chillen auf seinem versifften Sofa und Mona bläst ihm einen, mit viel Spucke und ich mach’ ’ne Bong klar. Brösel ’ne stattliche Mischung direkt von ’nem Heck runter auf den Couchtisch, der schwarz ist und scheiße aussieht. Es läuft Chris Liebing und die Designpritsche trinkt Fanta. Sie ist voll durstig. Draußen zwitschern so Amseln und irgendwelche Loser gehen zur Arbeit. Ey, sagt die Designpritsche, OK, sie heißt tatsächlich Hermine – Hermine Kleefeld (was’n disfürn behinderter Name, Alter?), ey, sagt sie, ist euch eigentlich auch aufgefallen, daß erst die Shirts am Start waren, und dann erst die Tracks richtig im Club liefen? Ähh, was meinst Du, fragt Panther so voll nichtpeilermäßig. Wie üblich ist sein Hirn derbe gefickt von dem Dope und die Monapritsche ist auch fertig mit ihm und schluckt seinen Saft und er packt mit Reptilienfingern seinen Schwanz wieder ein. Na Underground Resistance, die schwarzen Shirts, mit dem weißen Logo. UR, UR, UR, überall UR, ich schwöre, wobei das Logo auch übertrieben geil ist. Und Detroit rockt sowieso; Berlin und Detroit rulen voll, deswegen ist Tekno soweit vorn, wegen Berlin und Detroit, sagt die Pritsche, die übertrieben stoned ist und eigentlich noch irgendwas über Westbam labern möchte, dann aber umkippt auf Panthers Sofa und wegpennt, Arm in Arm mit der anderen Pritsche, voll süß, voll kätzchenmäßig die Fotzen. Wer schläft, hat schon verloren. Panther und ich ziehen noch’ nen bißchen Speed; dann wieder Geräterauchen und Konsole zocken; Wipeout ist so dermaßen übertrieben geil!